Blatt #2 | KW 32/2019
Rechts: Puch 800 (Vierzylinder V) neben einer Victoria V 35
Bergmeister
Die Volksmotorisierung begann bei
uns Ende der 1950er Jahre. In den 1970ern waren für meine
Generation genug preiswerte Gebrauchtfahrzeuge auf den
Kiesplätzen und in allen Arten von Schuppen oder Gärten, daß der
individuelle Besitz von Kraftfahrzeugen zum Standard geworden
ist.
Das wäre bis zum Zweiten Weltkrieg nicht
erschwinglich gewesen, blieb seinerzeit ausschließlich gut
situierten Leuten vorbehalten. Motorräder waren die Vehikel der
Avantgarde solcher Entwicklungen. Meine Fahrt mit
Marketing-Fachmann Norbert Gall wurde im ersten Teil diesem
Thema gewidmet. In Sankt Anna am Aigen wird man dazu fündig. Und
zwar auf hohem Niveau.
Sepp Legenstein wollte Mechaniker
werden. Der nächstliegende Betrieb war von einer heute
merkwürdig erscheinenden Barriere umstellt. Ihm wäre die
Lehrstelle offengestanden, wenn sein Vater ein Auto gekauft
hätte. „Aber mein Vater hat ja nicht einmal einen Führerschein
gehabt.“ Also wurde nichts daraus und Legenstein wurde Maurer.
Die Fertigkeiten zum Restaurieren seiner Motorräder hat er sich
selbst beigebracht.
Einen Teil seiner Sammlung macht
Legenstein öffentlich zugänglich. Dazu hat er sich sein Museum
selbst gebaut. Was einen da in St. Anna am Aigen erwartet, ist
eine solide Überraschung. Die hochkarätige Kollektion hat einen
Puch-Schwerpunkt und ist in Sachen BMW sehr gut aufgestellt.
Dazwischen sind kleine Ausreißer auf andere Felder zu finden.
Sepp Legenstein und Norbert Gall
(rechts)
Die 350er Magnat Debon war mir zum
Beispiel völlig fremd. Die NSU Max konnte man freilich einst auf
unseren Straßen noch im Alltag sehen, auch die wunderbar
restaurierte 400er Horex Regina. Neben dem großen BMW
Wehrmachtsgespann (das Original, keinen russische Kopie) steht
das flachköpfige Gegenstück von Zündapp, weit schwerer zu
finden, obwohl davon, wie Legenstein sagt, die gleiche Stückzahl
produziert wurde.
Das rareste Juwel der Sammlung ist
freilich die Puch Type A aus dem Jahr 1903, die ich bisher nur
aus Büchern kannte. Auch eine offenbar makellose Puch 800 werden
Sie woanders nicht so leicht zu sehen bekommen.
Legenstein gehört in die Liga jener, die sich um den
Originalzustand bemühen. Keine Überrestaurierung, keine
nennenswerten Gebrauchsspuren. Das gibt seinen Motorrädern ein
eigentümliches Flair. Die Fahrt in jenen südlichen Teil der
Oststeiermark ist dringend zu empfehlen. Dieser Sammler hat über
die Jahrzehnte eine bemerkenswerte Leistung vollbracht.
Ferner hatte Micky Tieber, Frontmann der „Alltagsklassiker“,
für diesem Samstag zum „Saturday
Night Cruising“ gerufen. Dazu war Gerhard Szamuhely
angekündigt, der „Garagen Liebling“, mit dem ich schon
geraumen Zeit via Web in Kontakt bin. („muss nur schauen
welches auto fährt, is jo ned a so.“)
Norbert Gall
und Gerhard Szamuhely
Wir sind alle
für Erörterungen gerüstet, wie es mit dem Automobilismus
weitergehen kann und wohin die Entwicklung der Technik führt,
welche Weichen gestellt, an welchen Schrauben gedreht wird. Das
ergibt nie nur Fragen zur Industrie und zum Markt, sondern stets
auch Debatten über soziale und kulturelle Zusammenhänge.
Wir befassen uns ganz konkret mit
dem rollenden Kulturgut. Dabei steht derzeit zur Diskussion, wie
ist es um den Erhalt historischer Automobile bestellt ist. Wo
werden sie bewegt werden können? Wer sorgt für den Erhalt der
nötigen Kompetenzen, der unverzichtbaren Handfertigkeit?
Da ist derzeit alles emotional äußerst aufgeladen.
Lagerbildungen im Pro und Kontra verschärfen sich zunehmend. Ich
finde stellenweise auf beiden Seiten irrationale Positionen. Nun
ist aber das Automobil nicht nur technisch und ökologisch,
sondern auch soziokulturell eines der exponiertesten Phänomene
des 20. Jahrhunderts. Das kann nicht bloß über eine kritische
Betrachtung verdeutlicht werden, das hat natürlich auch
Dimensionen des Irrationalen.
Dem kann man nicht auf
nützliche Weise begegnen, indem man die alten Posen der Prediger
aufgreift, welche Menschen als Sünder markierten, ihnen unter
Androhung himmlischer Strafen die Umkehr, Abkehr, Läuterung
empfahlen.
Kaum noch wo zu sehen: Matra
Murena
Das sind ermüdende Attitüden. Es wird daher
spannend sein, nun zu klären, welche Debatten wir führen können
und in welchem Tonfall sie gehalten sein mögen, auf daß wir im
gesamten Thema vorankommen.
+)
Alltagsklassiker +)
Garagen Liebling (Szamuhely) auf Facebook +)
Motorradmuseum Legenstein
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