the long distance howl | origami ninja association / page #4

Andrea

Wie soll ich das erklären? Ein Leben in der Kunst funktioniert nicht nach irgendeinem Handbuch. Es entfaltet sich, vertieft sich eventuell. Aisthesis ist das griechische Wort für Wahrnehmung. (Wir sagen: Ästhetik.) Was für ein Angelpunkt!


Ich würde allen Anleitungen zur Kunst mißtrauen und sehe in der Kunst kein pädagogisches Potential. Anders ausgedrückt: ich glaube nicht daran. So würde ich auch jederzeit schwören: „Kunst, um zu…“ ist keine.

Also was nun? Und wie? Das weiß ich: man erkennt sich.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Die junge Frau ist wohl nicht einmal halb so alt wie ich. Wir sind uns noch nie real begegnet. Sie gehört irgendwie zu meiner Familiengeschichte. (Dieses „Irgendwie“ dämmert mir so langsam.)

Solchen Zusammenhängen entsprechend und gemäß der Pandemiesituation sind wir seit Wochen in eine Korrespondenz verwoben. Schreiben! Das scheint für sie mühelos zu sein, was ich sehr schätze. Da gab es nun einen Tag, an dem sie ein überaus schweres Herz hatte. (Angelegenheiten, von denen ich nichts weiß.)

Und wie hat sie mir davon erzählt? Mit eine Stück von Rilke. Es geht so:

Das ist mein Streit:
Sehnsuchtgeweiht
durch alle Tage schweifen.
Dann, stark und breit,
mit tausend Wurzelstreifen
tief in das Leben greifen -
und durch das Leid
weit aus dem Leben reifen,
weit aus der Zeit!


Glauben Sie es oder auch nicht, da muß nichts mehr gefragt werden, selbst wenn man sich kaum kennt. So ist das Leben in der Kunst. So sind wir gemacht. Das ist möglich.


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12•21