Georg Kurtz
ist praktischer Arzt in Gleisdorf. Hausbesuche sind quasi ein konstituierender Bestandteil
seiner Profession. Der Mann hat demnach eine sehr profunde Anschauung, was WOHNEN in
dieser Region bedeutet und wie es am Leben Maß nimmt ... oder umgekehrt: das Leben
prägt.
Am 27. Dezember schrieb ich ihm: "bist du zur zeit im dienst oder hast'
frei?", um anzufragen, ob er für das Gespräch, um das ich schon gebeten hatte, nun
zu haben sei. Seine Antwort begann so:
"Hahaha!"
Mir dämmerte sofort, daß ich eben nicht eine Spur wie ein Mediziner
gedacht hatte. Kein anderer Festtag handelt vermutlich querbeet in so hohem Maß von zu
viel Essen und Alkohol, zu wenig Distanz in Familien, was Krisen und Kräche ankickt; ein
Fest, das andrerseits Einsamkeitsanfälle und ähnlichen Kummer auslöst, wo Verlassenheit
durchschlägt oder ein Leben nicht ausreichend gelungen erscheint.
So oder so: Viel Arbeit für den Doktor: "... gestern auf heute
Nachtdienst, der ja nicht so schlimm gewesen wäre, wär net ..." Aber er machte mir
auf jeden Fall Hoffnungen: "... ich hab in den nächsten Tagen leichten Druck.
Leichten. Ich muss Dich bitten, das Interview zu verschieben. Bitte um Verständnis!"
Cut!
Erwachsenenbildner Hannes
Felgitsch ist zur Zeit Kulturreferent von Gleisdorf. Die Videoaufzeichnung des
Gesprächs mit ihm bietet eine ganze Reihe interessanter Denkanstöße. Er hat mir
augenzwinkernd ein sehr schönes Denkmodell mitgegeben, mit dem man jene Tendenz fassen
kann, in der auffallend viele Menschen bei Fragen der Architektur zu rückwärtsgewandten
Leidenschaften neigen, was allerhand Abneigung gegen Gegenwärtiges hervorbringt.
Man könne ja, so Felgitsch, die Stadt in Zonen einteilen, die
verschiedenen Epochen gewidmet wären; wie das im Modellbau üblich ist. "Ab Epoche
III verwendbar" (Quelle: Faller)
hieße dann konkret: "vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Ende der Dampflok-Ära
..." [HIER das gesamte Epochen-Schema!]
Cut!
In einer anderen Videoaufzeichnung zog die aus Serbien stammende
Kunsthistorikerin Mirjana Selakov
einige Vergleiche zwischen ihrer Heimatstadt Stapar und Gleisdorf. Beide Orte sind von
etwa gleich vielen Menschen bewohnt. Während aber Gleisdorf als Kleinstadt angesehen
wird, gilt Stapar (in der serbischen Vojvodina) als Dorf.
Ich habe gefragt, worin Selakov diesen Unterschied begründet sieht. Es
ist für sie das Fehlen eines Zentrums in Stapar, obwohl es natürlich ein
Verwaltungszentrum gibt: "Die Hauptstraße ist vier oder fünf Kilometer lang."
Und das Fehlen von gewissen Infrastruktur-Details, wie etwa ein Gymnasium etc. Vergleicht
man die Satellitenbilder beider Städte, wird auch deutlich, welche Unterschiede sich in
den Anlagen auftun:
Gleisdorf: [link] | Stapar: [link]
Es dürfte also bei der Betrachtung des eigenen Lebensraumes sehr
aufschlußreich sein, sich all das einmal aus der Luft anzusehen und ferner zu fragen: Was
brauche ich? Was davon ist zu Fuß leicht zu erreichen? Wofür benötige ich ein Fahrzeug,
um mir den Nutzen holen zu können?
Cut!
Ich habe schon angedeutet, daß "Häuschen mit Garten" mir als
sehr dominantes Wunschmotiv erscheint, was sich wohl in Sujets wie "Schloß im
Park" spiegelt. Wie mag das aussehen, wenn man man nun nicht in der verflossenen
"Epoche I" [link] nachschlägt, sondern
ein stattliches Anwesen der jüngeren Vergangenheit bzw. der Gegenwart ins Auge faßt?
Francisco Asensio Cerver zeigt in seinem Buch "Häuser der Welt"
eine Auswahl von Bauten aus den 1990er-Jahren. Da findet man freilich auch die
"fürstliche Dimension" als dominantes Motiv. Wie etwa die "Garey
Residence" in Kent, von "Gwathmey Siegel" entworfen. Cerver schrieb:
Was wäre nun die etwas bescheidener oststeirische Entsprechung solcher
Extrapositionen? Darüber werden wir vielleicht noch etwas herausfinden und in absehbarer
Zeit einige Beispiele zeigen können. Ich denke, es könnte sich lohnen, den Bogen
zwischen zwei deutlichen Polen möglicher Behausungen im Raum Gleisdorf darzustellen, zu
illustrieren. Entlang der schon notierten Fragen:
a) Wie soll man wohnen?
b) Wie kann man über Architektur reden?