martin krusche: transit zone #6
Hier kommt die Kavallerie!
Bis Wien hat man sich mit der Schmonzette befaßt (wozu
eigentlich?), da ein Pamphlet über das „Kunsthaus Graz“ hätte bewirken können, daß
sich zwei Männer mit Esprit wechselseitig ein paar geistreiche Polemiken um die Ohren
schlagen, welche ein Publikum unterhalten und zur Sache Klärendes beitragen. Aber sowas
kriegen wir in Österreich nicht. Statt dessen wurde, in maßloser Überschätzung des
Geschehens, ein „Kulturkampf“ proklamiert, der vor allem Aufrufe zu
Solidaritätserklärungen hervorbrachte. Im scharfen Ritt fiel „Die internationale
Kunstwelt“ ein, um das Bedrohungsszenario mit ernsten Worten zu erfüllen. Was für ein
Theater!
Unsere Sorgen möchte ich haben! Ich trug gerade noch ein
schweres Herz, weil mir Amirali Ghasemi aus Teheran schrieb, es seien ihnen für März
amerikanische Bomben angekündigt: „Wir leben und erfahren hier eine besorgte Stille um
die Zukunft des Landes und der Region. Niemand weiß, was passieren wird. Sanktionen oder
Krieg ...“ Was werde ich tun, wenn mein Freund eines Tages auf Post nicht mehr
antwortet, weil ihn womöglich ein Krieg verschluckt hat?
Das kam in den Tagen, als Hrant Dink ermordet worden war.
Deniz Gül aus Istanbul, die mit Amirali und mir an einem gemeinsamen Kunstprojekt
arbeitet, hatte sich grade entschuldigt, daß sie mit den Vorbereitungen nicht vorankäme,
sie sei so aufgebracht und verstört über die Vorkommnisse in ihrem Land. Deniz
schilderte mir, was das für einer gewesen sei, dieser Hrant Dink. Sie beendete ihre
Skizze mit dem Satz: „Der Grund dafür war zu reden, reden, reden, bis wir einander
kannten.“
Derlei geschieht einfach so. Nicht in meiner Gasse, nicht
in meinem Land. Aber rund um Menschen, die zu meinem Leben gehören. Was für ein Kontrast
zu Grazer Vorkommnissen, in denen ein Mann von Herkunft, Werdegang und Position völlig
die Nerven schmeißt, weil das Naheliegendste geschieht: Daß ihm aus der schreibenden
Zunft ein Pamphlet zugestellt wird.
Karahasan: Bewegtes Herz
Zum Glück ist es ebenso leicht, in der selben Stadt, Graz,
hochgestochener Langeweile dieser Art zu entkommen. Ich denke da zum Beispiel an Stunden,
in denen mir Dzevad Karahasan dargelegt hat, was das Wesen der griechischen Tragödie sei.
Ich hab keinen Augenblick eines larmoyanten Klanges an diesem Mann bemerkt, der Sarajevo
hatte verlassen müssen, weil serbische Kräfte damals damit beschäftigt waren, die
bosnische Intelligenz systematisch auszurotten.
Das beeindruckt mich sehr, wenn so einer nichts zu Jammern
weiß, sondern dem zugewandt bleibt, was sein Herz bewegt: Den Menschen und der Kunst. Ich
bedanke und verbeuge mich für die Ermutigung, die darin liegt. Daß mir gezeigt wird,
welchen Bedrohungen eine Seele mitunter standhalten muß. Und die Schmonzetten? Für den
Boulevard. Paßt schon!
14. März 07
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