Log #664: Spurwechsel

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Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Kurz!

Ich lese heute in den Medien, dass auch Sie gestern zur Rede von Michael Köhlmeier bei der Gedenkfeier in der Hofburg Stellung genommen haben. Sie haben in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung gesagt, dass „die Aussagen, dass es auch damals Menschen gegeben hat, die Fluchtrouten geschlossen haben, eindeutig auf Nazis und Nazi Kollaborateure abzielt" und dass Sie das aufs Schärfste zurückweisen.

Sie waren ja bei der Rede dabei. Offensichtlich haben die verständlichen Emotionen beim Zuhören dazu geführt, dass sie nicht gehört haben, was Michael Köhlmeier tatsächlich gesagt hat. Mittlerweile kann man das aber nachlesen. Die Stellungnahme eines Bundeskanzlers dazu sollte sich auf das tatsächlich Gesagte beziehen.

„Liest man Köhlmeiers Rede in Ruhe, so stellt man fest, dass er keineswegs ‚die Politik gegen illegale Migration’ mit der ‚Ermordung von sechs Millionen Juden’ vergleicht, sondern die NS-Verbrechen mit den Verbrechen Assads an der Bevölkerung Syriens – und damit Österreichs Politik heute mit jener etwa der Schweiz oder der USA, die ihre Grenzen vor Flüchtenden verschlossen" so Bettina Steiner in der gestrigen Presse.
Ihre gestrige Stellungnahme hat sich nicht auf das tatsächlich Gesagte bezogen.

Dass Herr Köhlmeier getan hat, wozu er ja offensichtlich eingeladen war, kann man ihm sicher nicht vorwerfen. Ihre Vorwürfe, scharf am Gesagten vorbei, passen in die Zeit und sind dann verständlich, wenn man Emotionen erzeugen und sich damit die Emotionen seiner AnhängerInnen sichern will. Ansonsten wäre es ehrlich gewesen, wenn Sie als Reaktion z.B. gesagt hätten, dass Ihre Politik Flüchtlingen gegenüber wegen der zunehmenden Verunsicherung in der Bevölkerung Regeln der Menschlichkeit außer Kraft setzt und einen harten Ton und harte Entscheidungen gegenüber Geflüchteten notwendig macht, oder dass Sie einfach der Meinung sind, man solle Flüchtlingen nicht helfen, weil sonst immer mehr kommen oder dass Sie der Meinung sind, die Flüchtlinge sind selber schuld, wenn sie vor Ermordung, Hunger, Vergewaltigung, Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen, Angst um ihre Angehörigen, … einfach davonlaufen und nicht im Land Widerstand leisten. Das wäre ehrlich gewesen.

Wer z.B. „Die Flucht der Dichter und Denker" von Herbert Lackner gelesen hat, kann ein bisschen nachvollziehen, was es für unsere Großeltern und Eltern bedeutet haben mag, auf der Flucht vor den Nazis zu sein. Die Dichter und Denker, deren Fluchtgeschichten Lackner beschreibt, haben Fürchterliches durchgemacht, weil die Grenzen in sichere Nachbarländer geschlossen waren, weil sie ihr Eigentum nicht mitnehmen konnten, weil sie entkräftet, geschwächt, verunsichert und oft entwürdigend behandelt wurden. Vielen von ihnen ist es dabei aber noch besser gegangen, weil sie bekannter waren als die Millionen, die sonst aus Österreich fliehen wollten. Um die hat sich in der Regel niemand gekümmert, sie hatten keine ausländischen Unterstützer.

Darauf verweist Köhlmeier in seiner Rede darauf, dass diese, unsere Eltern- und Großelterngeneration in genau der gleichen Situation waren, wie die Menschen, die z.B. aus Syrien fliehen und geschlossene Grenzen und keine Hilfe vorfinden. Und er hat damit Recht. Das zuzugeben, haben Sie verabsäumt. Ich bin sicher, für Ihre Großeltern und Eltern hätten sie sich damals Länder gewünscht, die angesichts dieser unentrinnbaren Not geholfen hätten. Heute geht es aber um Fremde. Politik muss aber wertgeleitet handeln. Wenn Sie sich für Ihre Großeltern und Eltern helfende Aufnahmeländer wünschen würden, müssen Sie das auch für Menschen tun, die Ihnen nicht so nahe stehen.

Franz Wolfmayr
(Senior Advisor EASPD)

+) Bezugspunkt: "Nach Tadel von Kurz: Köhlmeier verteidigt Kritik"

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coreresethome
20•18