Log #647: Kunstsymposion

Das Symposion ist -- historisch betrachtet -- ein Gastmahl, bei dem Menschen zu vorgeschlagenen Themen einen Meinungsaustausch pflegen. Es zielt also auf Erkenntnisgewinn. Ich bin so frei, an dieser Orientierung festzuhalten. Bei unserem Kunstsymposion geht es vorrangig um inhaltliche Arbeit. Allerdings, der Gegend und den hiesigen Bedingungen angepaßt, auf prozeßhafte Art.

log674a.jpg (19088 Byte)

Auf dem Weg zum kommenden Herbst, wo die Hauptveranstaltungen stattfinden werden, liegen Zwischenschritte in kleinen Veranstaltungen und laufenden Debatten. Die betreffen vor allem drei Themenfelder:
+) Maschinenprosa (Eine Sammlung von Notizen über, nicht von Maschinen)
+) Kulturpolitik (Was haben wir mit Funktionstragenden zu erörtern?)
+) Kunst (Beiträge zur laufenden Klärung, worauf sich dieser Begriff bezieht)

Das heißt unter Strich, dieses Symposion soll weitere Beiträge liefern, die aktuelle Entwicklung der Kunst zu begreifen, kulturpolitische Fragestellungen zu klären und überhaupt Anregungen zu bekommen, was gerade den Lauf der Dinge ausmacht, wo wir so weitreichende Umbrüche erleben. Das ist bei einem Leben abseits des Landeszentrums, also in der Provinz, anders anzulegen als in den großen Städten.

Ich hab es in einigen vorangegangenen Notizen schon angeschnitten: Wir befassen uns mit Wahrnehmungserfahrungen und Denkakten als Kulturleistungen.

Wo in dieser Gesellschaft seit Jahrhunderten die Muße als Müßiggang denunziert wurde, sind solche Kulturleistungen mit den etablierten Arbeitsbegriffen nur schwer vereinbar. Da offenbart sich, daß so viele von uns die Nachfahren all der Dienstboten und Hackler sind, denen der Mangel als das Normale und die Not als etwas Häufiges vertraut war.

log674b.jpg (21660 Byte)

Aus solchen mentalitätsgeschichtlichen Prägungen bekommt auch Ideologie ihre Färbungen. Die häufige Klage über eine auffallend schlechte soziale Situation österreichischer Kunstschaffender hat allerhand damit zu tun, daß wir mit keinen einschlägigen Berufsbildern vertraut sind, die uns künstlerische Arbeit als "richtige Arbeit" zeigen.

Im Kulturbetrieb der Provinz spiegeln sich natürlich gesellschaftliche Eigenheiten von solcher Art besonders. Wir haben keine ausreichend hohe Dichte inspirierter Leute, die ganz andere Arbeitskonzepte vorleben. Dazu kommt: Wo Sichtbarkeit vor Authentizität geht und Protektion vor Kompetenz, besteht eine irritierende Doppelbödigkeit, mit der umzugehen es einiger Talente bedarf, die nicht allgemein verfügbar sind.

Daher sind Wissens- und Kulturarbeit wie auch Kunstpraxis den Nischen vorbehalten, die nicht als gesichert gelten. Ich hab es schon mehrfach erwähnt, diese bipolare Situation -- hier Grundlagenarbeit, da Angewandtes -- birgt seit jeher Konfliktstoff. Wo öffentliche Gelder eingesetzt werden sollen, tendiert zuständiges Personal in Politik und Verwaltung zum Vorzeigbaren, zum Publikumsträchtigen. Das ist verständlich, aber problematisch.

Hinzu kommt, daß gerade die Grundlagenarbeit und die Kunstpraxis sehr oft von Inhalten und Dimensionen handeln, die in der Funktionärswelt kaum sachkundige Personen finden. Das heißt folglich, es müßte jemand für etwas einstehen oder etwas zulassen, was sich ihm oder ihr nicht hinreichend erschließt. Das bedeutet für Fachkräfte aus Politik und Verwaltung: ein Risiko eingehen. Etwas unterstützen oder wenigstens zu befürworten, das einem selbst nicht ganz klar ist. Solche Risikobereitschaft ist selten.

Wir kennen genau diese Situation im Projektrahmen "Dorf 4.0", wo es immer wieder vorkommt, daß ein Bürgermeister offen sagt: "Das ist mir jetzt nicht wirklich klar." Oder noch deutlicher: "Ich versteh jetzt nicht einmal die Hälfte von dem, was du da redest." Stellen Sie sich nun einen Bürgermeister vor, der da nicht zynisch meint, sondern ernst, und sich darauf einläßt.

log674c.jpg (21319 Byte)

Es gibt auch ganz andere Beispiele in der Region, wo Funktionstragende alles, was sie nicht verstehen oder was ihren Eigeninteressen nicht zuarbeitet, konsequent abgestellt haben. Ich denke, das sind die Zusammenhänge, in denen sich einiges entscheidet, was etwa Fragen nach der Zukunftsfähigeit einer Region betrifft.

Ich sehe es nicht als eine Aufgabe der Kunst, an sozialen Zusammenhängen direkt etwas zu bewirken. Das braucht dann auch couragierte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, der Kunst das zuzugestehen, was sie seit der Renaissance durchsetzen konnte, ohne daß es bisher revidiert worden wäre: Autonomie. Das bedeutet: Sich selbst die Regeln geben.

Die Kunst hat also ihre eigenen Regelwerke und Aufgaben. Kulturpolitik wäre demnach auch anderen Pflichten zu widmen, als bloß dem Abwickeln von Events und der Unterstützung von City- beziehungsweise Regionalmanagements.

Das würde zu einigen Fragen führen wie:
+) Was sind derzeit relevante, vor allem vorrangige Themen?
+) Welche Themen fehlen momentan auffallend im öffentlichen Diskurs?
+) Welche lokalen und regionalen Kräfte sind auffindbar, um Beiträge zu erhalten?
+) Womit können Politik und Verwaltung derlei Optionen begleiten und verstärken?

Damit sollte deutlich werden, daß die Verwaltung keinen Selbstzweck hat, sondern im Gemeinwesen wichtige Aufgaben fände, zu begleiten und zu verstärken, was von der Basis her kommt. Das ist ja, was mit dem Bottom up-Prinzip gemeint wurde, welches zum Beispiel eine Bedingung für viele EU-Budgets ist, die regional lukriert werden können.

Dabei geht es um aktive Bürgerinnen und Bürger, die relevante Vorhaben umsetzen möchten. Es geht dann sehr wesentlich auch um eine professionelle Begleitung für ehrenamtliche Arbeit. Das wirft natürlich Fragen auf, wie sich Kooperation zwischen Privatpersonen und Funktionstragenden aus Politik und Verwaltung ereignen kann, auf daß Ebenbürtigkeit als Prinzip gilt, wo doch so unterschiedliche Rollen und Positionen zusammenfinden.

log674d.jpg (14960 Byte)

In der Kleinregion Gleisdorf sind einschlägige Arbeitsgespräche in einem öffentlichen Rahmen schon geraume Zeit verstummt. Die Verwaltung von Partikuklarinteressen scheint derzeit vorrangig zu sein, obwohl einem vermutlich jeder Bürgermeister bestätigen kann, daß das langsam zum Albtraum wird; nämlich ein Gemeinwesen, in dem die Kommune als Serviceeinrichtung betrachtet und gefordert wird, um Partikularinteressen zu bedienen.

Das typische Beispiel: Bürgermeister werden immer öfter für diverse Differenzen in banalen Nachbarschaftsangelegenheiten strapaziert. Wird gefragt: "Hast du schon einmal mit deinem Nachbarn geredet, bevor du zu mir gekommen bist?", häuft sich die Antwort "Nein".

So hat die Provinz auch einen Kunstbetrieb, in dem Partikularinteressen dominieren, worauf sich vielerorts Politik und Verwaltung nur zu gerne einlassen. Klar. In keinem anderen Modus ließen sich lukrierbare Kulturbudtgets so gut für Nachbarfelder wie etwa das Marketing kapern, statt nennenswerte Teile davon konsequent in Grundlagenarbeit zu stecken. So gesehen ist der bisherige Verlauf im Projektraum "Dorf 4.0" eine erstaunliche Ausnahme.

-- [2018er Kunstsymposion] [Kulturpolitik] --


coreresethome
3•18