log #603: From Diaspora / Die Quest

Am 9.6.2017 hat für uns das mehrjährige Projekt "From Diaspora to Diversities" mit einer Buchpräsentation und Gesprächsrunde in der Akademie Graz geendet. Damit fand etwas seinen formellen Anschluß, was uns inhaltlich natürlich weiter bewegt. Die Dokumentation der Veranstaltung: [link]

log603a.jpg (13833 Byte)

Die weitere Arbeit am Thema wurde hier schon festgemacht und hat den zweiten Abschnitt unserer Projektes "Die Quest" eingeleitet. Hier die Übersicht zu Teil zwo: [link]

Kuratorin Mirjana Peitler-Selakov (Kunst Ost) war nun mit Kräften aus den beteiligten Institutionen zusammengekommen: Jana Kocevska vom Kulturzentrum Esperanza (Skopje), Darka Radosavljevic und Miroslav Karic von der Galerie Remont (Belgrad) und Janka Vukmir vom Institut für zeitgenössische Kunst (Zagreb). Für den Part Österreichs kamen Ursula Glaeser (KulturBüro Stainz) und Monika Mokre vom Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften dazu.

log603b.jpg (39616 Byte)

Auf Projektleiter Robert Alagjozovski mußten wir bei dieser Abschlußrunde verzichten. Der Grund, er war kurz davor zum Kulturminister von Mazedonien geworden, wodurch sich seine Prioriträtenliste energisch verschoben hat: [Quelle]

Der Fragenkatalog, mit dem das Projekt vor Jahren begonnen hatte, war inzwischen nicht mehr ganz oben auf dem Stapel vorrangiger Themen: [link] Entsprechend der unterschiedlichen Länder und Kräftespiele hatten sich teilweise ganz andere Überlegungen in den Fokus gerückt.

Mir blieb jene Demarkationslinie zwischen uns auffallend, die sich daraus ergibt, daß einige in der Runde eine Kriegssituation erfahren haben. Mirjana Peitler-Selakov hatte schon mehrmals erwähnt, wie merkwürdig es sich anfühle, daß der Staat, in dem sie geboren wurde, nicht mehr existiert. Ebenso skurril erscheint, was etwa Jana Kocevska an diesem Abend erzählte.

Bei Auslandsreisen, wie zum Beispiel nach Canada, sei ihre wiederkehrende Erfahrung, daß Menschen ihr Herkunftsland Mazedonien überhaupt nicht kennen. Und in Griechenland werde man leicht angefochten, könnten einem etwa die Nummerntafeln vom Auto geklaut werden, weil dort der Staatsname Mazedonien mit der Berufung auf historische Dimensionen abgelehnt und das Wort für Griechenland reklamiert werde.

log603c.jpg (13340 Byte)

Als ich mich seinerzeit zu interessieren begann, was denn genau Nationalismus sei und wie er sich bei uns zeige, wurden vor allem Ernest Gellner und Eric Hobsbawm zu meinen wichtigsten Ratgebern. Die Fragen nach diesen Kräftespielen erweisen sich schon allein deshalb als wesentlich, weil wir noch heute erstens mentalitätsgeschichtlich und zweitens ideologisch sehr wesentlich vom Großen Krieg geprägt sind, aus dem heraus unsere Leute im Faschismus landeten.

Das Reich der Habsburger versank ja nicht aus wirtschaftlichen oder kulturellen Gründen und gerade die multiethnische Situation dieses Imperiums hatte jene Talente hervorgebracht, durch die Österreich in Wissenschaft, Kunst und Technik ebenso bedeutend wurde, wie es in den dazu notwendigen Arbeiten ein vielfältiges Personal zur Verfügung hatte.

Das Haus Habsburg versank aus politischen Gründen, die seinen Eliten angelastet werden dürfen. Das illustriert uns auch die Geschichtsschreibung der Gegenwart. So gesehen hat das Jahr 1918 besonderes Gewicht, worüber wir anläßlich des bevorstehenden Jahres 2018 manche Überlegungen anstellen sollten.

Aber zurück zu Hobsbawm. Er meinte, wir Menschen hätten uns seit jeher als "Wir-Gemeinschaften" verstanden, daher ein "Wir" und ein "Sie" unterschieden, also das "Wir und die Anderen" zur Orientierung genutzt. Zwingt uns denn dabei irgendjemand, Selbstdefinition durch Feindmarkierung vorzunehmen? Aber nein! Das ist nur eine von mehreren Optionen.

Hobsbawm meinte eher entspannt, an der Unterscheidung von "Wir-" und "Sie-Gemeinschaften" werde sich wohl "in absehbarer Zukunft nichts ändern". Damit zitiert ihn Dieter Kramer in seinem Buch über "Europäische Ethnologie und Kulturwissenschaften" (2013). Kramer macht in diesem recht jungen Beitrag zur Debatte klar, daß "Ethnos" eine Charakterisierung sei, die sich aus der Mischung von Selbst- und Fremdzuschreibung ergibt.

Er betont, dies sei eine "nicht als essentiell, biologisch oder nur durch Endogamie hervorgerufene Besonderheit. Ethnizität ist ein universelles Muster menschlicher Interaktion." Das entspricht zum Beispiel ungefähr dem, was Ursula Glaeser von ihrer langjährigen Arbeit mit Roma erzählte. Das sind sehr dynamische Phänomene, die erst dann erstarren, wenn jemand ab-, aus- oder eingegrenzt werden soll, damit man mit simpleren Bildern arbeiten kann.

Ich denke, das ist alles für unsere weiterführende Arbeit an den Themen sehr anregend und überaus passend für die Schritte nach 2018, da 1918 belegt hat, welche entsetzliche Niederlage rassistisch gefärbte Konzepte des Nationalismus einfahren können, was unsere Leute dann 1946 gleich noch einmal erfahren durften. Und heute feiert das "Völkische" gerade wieder ein markantes Ravival. Kramer präzisiert:

"Ethnische Gruppen sind generationsübergreifende Lebensgemeinschaften, die aufgrund von selbst- aber auch fremdzugeschriebenen Eigenschaften und Traditionen ein sie von anderen Lebensgemeinschaften unterscheidendes Selbstverständnis aufweisen."

Demnach spricht nichts gegen die Vorstellung von Wir und Sie. Aber das sind weder "naturgegebene" Zustände, noch haben sie eine belegbare "Lange Dauer". Das ist für diesen Themenblock ebenso wesentlich wie für unsere Befassung mit Fragen der Volkskultur. Nebenbei bemerkt, wenn man beachtet, wo die Ethonolgie mit ihren Diskursen heute angekommen ist, erscheint es einem teilweise als ziemlich bewußtloses Vorgehen, was uns heimische Politik stellenweise anzudienen versucht, wenn es um Kategorien wie Heimat, Volk, Identität und Kultur geht.

log603d.jpg (18243 Byte)

Hier Politologin Monika Mokre (rechts) neben der meist ziemlich dynamischen Kuratorin Mirjana Peitler-Selakov. Wir sind uns schon einig, das die Verständigung über solche Fragen bei uns jetzt nicht abreißen wird. Ich denke, wir sind sehr gut beraten, die weiterführenden Diskurse und dabei auch adäquate künstlerische Schritte im Wechselspiel ganz verschiedener Disziplinen anzulegen.

Wir werden heuer noch ein Kunstsymposion absolvieren, das solche Themen beinhalten wird. Wir gehen außerdem auf 2018 zu, wo an 1918 zu denken sein wird. Ich höre übrigens schon jetzt: Was willst du da denn machen? Da wird es sicher große Veranstaltungen geben, die alles übertönen.

Die Antwort darauf fällt simpel aus: Es gibt andauernd große Veranstaltungen, die alles übertönen. Das hat auf meine Konzeption unserer Wissens- und Kulturarbeit keinen Einfluß. Wir bleiben darauf angewiesen, uns unsere Themen und Umseitzungsschritte davon völlig unabhängig zu gestalten.

-- [Diaspora-Doku] [2017er Kunstsymposion] --


coreresethome
24•17