log #586: dorf 4.0Dialekt:
Wosn und eckerte Türn
Wo bin ich, wenn ich überall bin? Was ist dabei "Das Regionale"?
Und was bedeutet es? Im Jahr 1990 haben wir im SO - Verein für regionale Kulturarbeit
eine kleine Anthologie herausgebracht: "Friedensausbruch" (Frauenleben
in der Nachkriegszeit). Ich war damals in der Oststeiermark noch für die Arge Region
Kultur tätig.
Hans Haid nennt diese Kulturinitiative ausdrücklich in einem Beitrag zu "Volkskunde
in Österreich. Bausteine zu Geschichte, Methoden und Themenfeldern einer Ethnologia
Austriaca". [Quelle]
Ich erwähne diese Publikation "Für den Österreichischen Fachverband für
Volkskunde herausgegeben von Olaf Bockhorn, Helmut Eberhart und Dorothea Jo. Peter,
Innsbruck 2011", weil es hier noch mehere Anlässe zur Bezugnahme geben wird.
Hans Haid schreibt auf Seite 524: „Aus der ‚Initiative mein Dorf’ und
zusammen mit dem IDI - Internationales Dialektinstitut - wurde dann unter anderem der
Pöllinger Speicher mit den Pöllinger Briefen und die ARGE REGION KULTUR gegründet. In
diesem Zusammenhang wurde in Österreich zum ersten Mal der Begriff ‚Kulturarbeit’
verwendet und konkret eingesetzt."
Das sei als kleiner Querverweis unterstrichen, denn Volkskultur und regionale
Kulturarbeit haben in der Zweiten Republik stabile Verknüpfungen entwickelt. Aber zurück
zum erwähnten Buch, das wir zum Auftakt der SO - Die Edition publiziert haben.
Ich hatte eine alte Bäuerin aus Laßnitztal für das Thema gewonnen. Mein Text über
sie bekam den Titel "Wenn ma so jung is, schaut ma scho mehr auf de Buam".
Sie vertraute einem, der "Biacha zsammschreibt", wir hatten eine
anregendes Gespräch, dennoch hab ich sie enttäuscht.
Ich hatte mich bemüht, im Text ihren Tonfall weitgehend festzuhalten. Die
eigentümliche Art zu reden, der gelegentlich originelle Satzbau, die "eckerten
Türen" vom Opel und emotionale Befindlichkeiten, wie etwa: "Wannst um
a Kuh mehr hast, war schon wieda a großa Neid."
Ich mag den Klang solcher Stimmen, die spezielle Poesie mancher Formulierungen,
unscheinbare Nuancen wie etwa bei "Ma hat a klane Freizeit ghabt". All
das betont auch, was Dialekt ausmacht, denn oft wird schon im nächsten Tal
anders gesprochen.
Dazu kamen auch Worte, deren Bedeutung ich erst erfragen mußte. Der Wosn ist
die oberste Rasenschicht des Bodens. Wußte ich davor nicht. Dafür war mir der Woaz
als Mais geläufig, genauer Bauwoaz? Dagegen der Buchweizen
oder Hoadn. Den braucht man für den Hoadnsterz, also Heidensterz,
den Woaz aber für den Sterz, also Polenta.
Die Pointe an diesem Teil der Geschichte war die große Enttäuschung der Bäuerin, als
sie sich in diesem Buch weitgehend im eigenen Tonfall wiederfand, der ihr wahrscheinlich
als etwas Geringes vorkam, denn sie sagte zu mir: "I hob gedocht, du mochst wos
draus."
Sie konnte nicht verstehen, daß ich, der "Biachazsammschreiber",
ihre vertraute Art zu reden als schön und erhaltenswert empfand. Ihr kam das lächerlich
vor. Sowas korrespondiert mit gängigen Untersuchungen, die besagen, daß Menschen, welche
Dialekt sprechen, zwar als sympathischer gelten, aber dafür in Kompetenzfragen schlechter
abschneiden. Ich hatte nicht verstanden, was sie von mir erwartete; daß ich sie eben
genau nicht so, wie sie war, in das Buch einschrieb.
Es läßt sich auf jeden Fall sagen: Dialekt ist Nähe. Er gibt gewöhnlich Hinweise
darauf, wo jemand zuhause ist, drückt also einen räumlichen Bezug aus. Und er hat auch
etwas mit Emotionalität zu tun.
Ich kennen aus meiner eigenen Alltagspraxis wenigstens vier Sprechkonzepte. Meist
benutze ich eine leicht verschliffene Hochsprache, die allerdings stark Richtung betonter
Hochsprache verschoben wird, wenn ich etwas genauer ausdrücke oder nachdrücklich
verdeutlichen möchte.
Da sind also zwei, kommt als Drittes meine Lesesprache dazu, wenn ich vor
Publikum sitze und Texte vortrage. Wenn ich mich aber ganz sorglos und gemütlich fühle,
falle ich leicht in einen breiten Dialekt. Ebenso wenn ich sehr wütend bin. Im Fluchen
werde ich sehr regional, könnte man sagen.
Was Herkunft angeht, schafft offenbar auch der Akzent einiges. Ich erinnere mich an
eine Kellnerin in einem Café in der Istiklal-Straße von Istanbul. Wir trafen dort im
Rahmen eines Kunstprojektes öfter zusammen und ich staunte vor allem, wie hinreißend es
klingt, wenn ein Finne Englisch spricht.
Die Kellnerin hatte mich bei unserer ersten Begegnung gefragt: "Bist du aus
Österreich?" "Ja. Wieso?" "Dein Englisch klingt so." Es
gibt demnach allerhand Zusammenhänge, in denen Wortschatz und Sprachklang einerseits
regionale Bezüge, andrerseits emotionale Befindlichkeiten offenlegen.
Was bedeutet all das in einer globalisierten Welt, die wir erkunden mögen, seit wir
mobil sein dürfen und können? Lebensweisen in den versunkenen Teilen der agrarischen
Welt und der Arbeiterschaft waren ja davon geprägt, daß man sich nicht nach Belieben
umtun konnte, weil man weder die Erlaubnis dazu, noch die freie Zeit, noch die nötigen
Mittel, noch die passenden Fahrzeuge zur Verfügung hatte.
Unsere individuelle Mobilität im Stile westlicher Industrienationen ist ein sehr
junges Phänomen. Dazu kommen inzwischen Massenmedien, durch die eine weltumspannende Info-Sphäre
entstanden ist. So kann die Welt im "Rasenden Stillstand" (Virilio)
erkundet werden.
In eben diese Info-Sphäre funkt aber auch eine avancierte
Unerhaltungsindustrie mit ihrem Entertainment und ihren Identitäts-Angeboten höchst
effizient hinein, umspült uns die Wirtschaft mit Botschaften, deren Finanzierung
astronomische Summen kosten darf.
Was also ist "Das Regionale" oder gar "Das Lokale"
unter solchen Bedingungen der Vernetzung, nämlich der globalen Vernetzung? Was ist ein "Wir"
unter solchen Einflüssen und welche Rollen können dabei alte kulturelle Phänomene
spielen?
Allein die Tatsache, daß in Österreich jüngst wahlkämpfende Formationen nicht mehr
ohne Kategorien wie Heimat, Kultur, Volk und Identität auszukommen schienen, illustriert
die Brisanz des Themas. Doch was genau damit gemeint ist und wohin uns welche Mittel in
der Sache führen sollen, erfährt man nicht so leicht.