log #576: Ditmar & UrbanTage in Wien
...da war dann die Überlegung, wir sollten
Kompetenzen nicht dem Vergessen überlassen, bloß weil ihnen derzeit Marktfähigkeit
fehlt. Was das meint? Wenn eine Fertigkeit nicht nachgefragt und folglich bezahlt wird,
geben die Menschen sie meist auf.
Derlei Dinge erörtere ich kürzlich im
Raum Wien mit Fachleuten ganz unterschiedlicher Intentionen und Tätigkeitsbereiche. Lisl
Mesicek ist Vizepräsidentin der ÖGHK, also mit historischen Kraftfahrzeugen
befaßt. Und das nicht bloß auf organisatorischer Ebene, sondern gemeinsam mit ihrem Mann
Heinz auch sehr handfest in der Betreuung einiger Klassiker, deren ältester aus den
1920er Jahren stammt.
Heinz Mesicek (links) und Stefan
Reitgruber
Heinz und Lisl Mesicek haben mir nun
während einiger Tage verschiedene Zugänge ermöglicht, was zu einer Reihe anregender
Begegnungen und Debatten führte. Manche der Sammler bevorzugen Diskretion, weil sie das
Licht der Öffentlichkeit meiden. Andere engagieren sich in der Öffentlichkeit. Ein
lebhaftes Wechselspiel der Möglichkeiten.
Stefan Reitgruber ist Obmann des Verein
zur Förderung der historischen Fahrzeuge der Österreichischen Automobilfabriken [link] und somit
Repräsentant jener Initiative, die unter anderem einen alten Wagen aus Grazer Produktion
besitzt, der auf Stand gebracht werden soll; gleichermaßen technisch wie auch in seiner
Historie, von der noch vieles im Verborgenen liegt.
Diese Arbeit am D&U-Wagen, mit der sich die
Mesiceks und Reitgruber unter anderem befassen, handelt von einer Reihe an Fragestellungen
sehr grundsätzlicher Art, wie ich sie derzeit in einem Projekt mit dem Wissenschafter
Hermann Maurer von der TU Graz bündle; siehe dazu "Mensch und
Maschine" [link]
Wolfgang Dudek und Lisl Mesicek
Die Sammler und Schrauber auf dem Feld
klassischer Kraftfahrzeuge liefern nur eines von mehreren möglichen Beispielen, wie dann
allerhand Kompetenzbereiche in privaten Nischen überleben, nachdem sie von der Wirtschaft
aufgegeben wurden.
Das Verlernen und Vergessen von Können
und Fachwissen ereignet sich sehr viel schneller, als man vermuten möchte. Das Bergen und
Erhalten von altem Wissen bleibt deshalb für jede Gesellschaft eine anspruchsvolle
Aufgabe. Dabei geht es nicht bloß um konservatorisches Tun.
Wir beziehen unser Denkvermögen
keineswegs bloß aus Denkakten, sondern auch aus den körperlichen Handlungen. Erst
Wechselspiel von Denkleistung und Handfertigkeit entfalten sich menschliche Möglichkeiten
angemessen, wenn wir nach "Altem Handwerk" fragen. Daraus folgt, daß
uns zum Beispiel die Praxis alter Techniken auch für zukünftige Aufgaben stärkt.
Das Durchdenken von komplexen Aufgaben,
das Erlangen einer entsprechenden Problemlösungskompetenz, das Erringen hinreichender
Handfertigkeit, die Teamfähigkeit, weil man nicht alle anfallenden Probleme alleine
lösen kann, solche Anforderungen sind vermutlich in den meisten Lebensbereichen zu
finden. Sie unterstreichen überdies, was wir uns unter Kultur vorstellen können.
Der Grazer D&U-Wagen
Das Beispiel des Grazer D&U-Wagens
legt nahe, Fragen und Aufgabenstellungen zu formulieren, die zugleich in die Vergangenheit
und in die Zukunft weisen. Es geht dabei um, technische und um soziale Fragestellungen.
Dieses Fahrzeug steht auf der Schwelle des Umbruches zwischen Erster und Zweiter
Industrieller Revolution.
Seine Bedingungen zu ergründen nützt
beim Bearbeiten von aktuellen Fragestellungen, da wir selbst uns gerade auf der Schwelle
des Umbruches zwischen Dritter und Vierer Industrieller Revolution
befinden.
Das handelt dann -- wie eingangs
angedeutet -- auch von dringenden Überlegungen, welche Bereiche der Kompetenz und
Handfertigkeit wir dringend erhalten sollten, wo die Wirtschaft sie als überholt
aufgegeben hat. Und zwar deshalb, weil Menschen wie wir nicht bloß mit Fragen der
Ökonomie befaßt sind, sondern vor allem mit jenen der menschlichen Gemeinschaft und
ihrer Kulturen.
Dabei könnte es sich leicht ergeben,
daß wir eine ganze Menge verschwindender Kompetenzen nach einer Weile dringend brauchen
werden und dann womöglich nicht mehr verfügbar haben.
Denken Sie bloß an Fragen der
Ernährungssouveränität, da wir bei unserer Nahrung nicht bloß von Produkten der
Nahrungsmittelindustrie abhängig sein sollten. Anbauen, ernten, konservieren, wer kann
das? Oder denken Sie bloß, was uns blüht, sollte für ein, zwei Wochen der Strom
ausfallen...
-- [Ditmar & Urban] --
core | reset | home
52•16 |