log #552: konvergenz

Generationsbelange

Unser 2016er Kunstsymposion trägt den Titel "Koexistenz in Konvergenz". Das verweist unter anderem auf einen Unterschied der Kategorien Integration, Assimilation und Zusammenleben. Es betont ein sich einander Zuneigen aus verschiedenen Positionen. Genau das bedeutet Konvergenz.

In der Beachtung solcher Aspekte sollte eine Gegenposition zu dem möglich sein, was wir unter Kolonisation vielfach kennengelernt haben. Als männlicher weißer Westeuropäer spiegelt mein ganzes Leben Kontroversen zu diesen Themen wieder.

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Ich wuchs im Kalten Krieg auf. Als ich Soldat war, setzte sich gerade die Spannocchi-Doktrin durch, ein Konzept der territorialen Raumverteidigung. Das fokussierte nicht auf die Grenzen einer Nation, sondern auf eine Art staatliche Guerilla, die es Feinden schwer machen sollte, das Land zu durchqueren.

Damals mußte alles schwarzweiß sein, wir waren die "Guten", alle "Roten" waren die "Bösen", wobei wir einander lieber nicht offenbarten, daß wir sicherheitspolitisch als ein Protektorat der USA dastanden.

Zu dieser bipolaren Welt- und Menschensicht kam, daß ich durch meine Familie in Sachen Faschismus ein Insider wurde. Auch das mußte natürlich wahlweise verschwiegen oder schöngeredet werden. Wir wurden Meister der Kosmetik.

Aus diesen Kontinuitäten heraus herrschte das relativ unreflektiert gebliebene Bild eines Volkes vor, das als kulturelles "Wir" ohnehin klar und geklärt sei. Wir, das Volk, unsere Kultur, unsere Werte.

Das ist bloß so nicht belegbar, bleibt pure Behauptung, ist Ideologie.

In Wahrheit ist das Staatsvolk eine politische, keine kulturelle Kategorie. Was diverse Patrioten heute als "Multikulti" zu diskreditieren versuchen, finde ich in jeder Familie, die mehrere Generationen umfaßt.

Mein Großvater, mein Vater und ich, das ergab unter Garantie drei völlig verschiedene kulturelle Systeme innerhalb dreier grundverschiedener Lebenskonzepte, die sich als drei völlig unterschiedliche Kulturformen darstellen lassen.

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Wer spricht denn hier in wessen Namen? Der weiße, deutschsprachige Österreicher? Ist nicht prinzipiell Österreicher, wer die Staatsbürgerschaft besitzt? (Quelle: "Österreich bleibt Rot Weiß Rot", Facebook, 23.10.2015)

Ich verstehe mich mit meinem Sohn vorzüglich, aber sein Leben drückt sich in einem völlig anderen kulturellen Gefüge aus als meines. Die Bilder, die Klänge, die Codes, manche Verhaltensweisen, all das hat zwar Schnittstellen, ist aber keinesfalls deckungsgleich. Das vielleicht Radikalste daran: Ich hab von seiner Welt in der Zukunft keine Ahnung, die wird völlig anders sein als unsere jetzige. Ich werde nicht dabei sein.

Was mir nicht ganz klar ist, sollten wir Generationskonflikte einfach als Konflikte in kultureller Differenz verstehen? Sind sie doch auch etwas anderes?

Wo kann die Kulturarbeit aus all dem Anregungen beziehen? Die Erosion von vertrauten Konventionen und Rollenbildern unserer Gesellschaft korrespondiert entweder oder potenziert sich im wachsenden Zusammentreffen mit Flüchtlingen und Immigranten.

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Oder haben wir all das, diese Kontraste, nur in der kurzen Phase nationalstaatlicher Eigenständigkeit Österreichs vergessen, in den wenigen Jahrzehnten, nachdem unsere Leute über ein halbes Jahrtausend hinaus einem multiethnischen Imperium angehört haben?

Ist das ohnehin nichts Neues? Ist bloß das Tempo der Verläufe und Konfrontationen neu? Spielen uns die Massenmedien mit ihrer tagtäglich verfügbaren Informationsmenge einen Streich?

Es scheint, als müßte sich jeder Bereich unserer Gesellschaft mit diesen Fragen befassen. Mit welchen Kulturtechniken und welchen Medienkompetenzen sollten wir gerüstet sein, um uns der Gegenwart, womöglich der nahen Zukunft gewachsen zu fühlen?

-- [Das 2016er Kunstsymposion] --

Die Ehre des Handwerks
Das Gewicht der Kunst
Der Geist in der Maschine


coreresethome
27•16