log #524: fiat lux panoramaKugeln, Eier und Tropfen
Am 23.2.2016 berichtete die Neue Züricher Zeitung über
Wim Ouboter und seine „Elektrische Isetta“. Andere Blätter nannten den
Spitznamen, welches das historische Vorbild in den 1950er Jahren verpaßt bekam: „Knutschkugel“.
DER ELEKTRISCHE NEULING: MICROLINO
(FOTO: MICRO)
Mit dem historischen Microcar, einem Lizenz-Fahrzeug aus
Italien, ging BMW nach dem Zweiten Weltkrieg erneut Richtung Automobilbau. Wer die kleine Isetta
je 1:1 vor sich hatte, kann das Bild eines motorisierten Fauteuils mit Regenmäntelchen
nachvollziehen. Den Spitznamen bezog sie von der körperlichen Nähe, die zwei Menschen in
der Isetta aufgezwungen wird.
„Der Zürcher Erfinder des Micro Scooters und des Kickboards lanciert ein
Elektroauto, das stark an den BMW Zweisitzer von 1955 erinnert.“ (NZZ) Was derzeit
beim 86. Internationalen Autosalon in Genf gezeigt wird, soll im Herbst 2017 auf
dem Markt verfügbar sein und zitiert die Isetta ähnlich, wie der aktuelle Fiat 500
den Fiat Nuova 500 aus den 1950ern zitiert.
NOCH KEIN AUTO: DIE KNUTSCHKUGEL BMW
ISETTA
Ein Teil der automobilen Zukunft stützt sich also in der
Akzeptanzfrage auf visueller Ebene mit einigem Augenzwinkern auf bewährte Formen. Das
bedeutet freilich auch, bei Neueinführungen werden manchma alte Imagebestände genutzt,
vermarktet.
Das Magazin „Auto, Motor und Sport“ titelte zu
einem Teil der Schweizer Schau: „Verstehen Sie Spaß?“ und notierte:
„Die Automesse in Genf ist klein, hat aber viel Platz für kleine Hersteller mit großen
Ideen.“
Wer erinnert sich, wie viel Häme und Spott Besitzer von „Mopedautos“ in den
1980ern hinnehmen mußten? Die Gesetzeslage ermöglichte das führerscheinfreie Fahren der
Winzlinge von Aixam, Ligier und Microcar. Da war über solch
blühender Abschätzigkeit längst vergessen, daß der Automobilismus Europas mit
vergleichbar winzigen Autos begonnen hatte, deren Bezeichnung „Voiturette“ (=
Wägelchen) die Dimension benennt.
Lauter kugelige Fahrzeuge, manchmal die Form von Brotdosen annehmend. Die Kugel gilt als
perfekter Körper und legt sich nahe, wenn beim Vehikel an allem gespart werden soll. In
England nennt man die Kleinen "Bubble Cars". (Bubble = Blase) Die
schnelle Kugel ist als Tropfen ausgeführt, im Englischen: Teardrop (= Träne).
Wenn nun die winzige Kugel/Träne formal wiederkehrt, wo
individuelle Mobilität per Kraftfahrzeug sparsam eingerichtet sein soll, dann erinnert
das auffallend an die Ära der Massenmotorisierung in den 1950ern, denn da wurde
vorbildlich gespart; aber nicht lange.
DER NACHKRIEGS-OVOID: STEYR-FIAT 600
Die dreirädrige BMW Isetta gehört diesem
Phänomen der Nachkriegszeit an. Sie galt noch nicht als „richtiges Auto“. Erst mit
dem vierrädrigen Folgemodell, dem BMW 600, gelang dieser Schritt. Dieser
bayrische 600er erscheint formal wie ein deutscher Cousin des italienischen Fiat 600,
einer bahnbrechenden Konstruktion von Dante Giacosa und Giuseppe Alberti.
Mit solchen Fahrzeugen waren die „Eier-Autos“ volkstümlich geworden. Der Ovoid
brachte es also auf eine erschwingliche Massenbasis, was in den Jahrzehnten davor als „Tropfenwagen“
und schließlich „Streamliner“ (= Stromlinie) nur wohlhabenden Kreisen
vorbehalten war.
Ovoid und rundlicher Ponton, die meist etwas größere
Stufenheck-Version, wurden dann in den 1970ern formal gebrochen. Designer Giugiaro schlug
die Keilform mit Wucht ins Geschehen, während etwa im hochpreisigen
Sportwagensegment die klassische Torpedo-Karosserie zu zeitgemäßen Projektilen
geformt wurde.
DIMENSIONEN: ALTER FIAT 500 KOMBI
VOR JUNGEM AIXAM (MOPED-AUTO)
Der Keil geriet hauptsächlich via VW Passat und VW
Golf zur Massenware, fand beispielsweise im Fiat X1/9 und im Lancia Beta
Montecarlo individueller Varianten, sowie etwa im Lotus Esprit den teuren
Sonderfall.
Spätestens in den 1990er wurden Autos weltweit von einem wachsenden Teil des Publikums
als rundgelutschte Häuseln bevorzugt, die ein Auffallen in der Menge eher verhindern.
Zeiten und Themen wechselten.
Die auffallenden Statements per Autokarosserie bleiben
heute wieder Minoritäten vorbehalten. Aggressives Auftreten war rund ein Jahrhundert lang
weit verbreiteter Standard, nun kommen lächelnde Frontpartien in netter Blässe über den
Horizont herauf.
GOOGLE SELF DRIVING CAR (FOTO: CC BY
MICHAEL SHICK)
Diese neuen Autos lärmen und riechen auch nicht mehr
auffallend, sie sind also ungeeignet, die Silhouette eines geltungsbedürftigen Menschen
mit technischen Mitteln zu vergrößern.
Als Jünger des Ikarus hätte ich gerne Karl Kraus zitiert,
der etwa meinte: "Mach dich nicht so klein, so groß bist du nicht!"
Aber ich muß selbst noch am fälligen Paradigmenwechsel und an meiner Einstellung
arbeiten.
Die ersten Selbstfahrer von größerer Bekanntheit waren
schließlich bei Google adaptierte Toyota Prius. Die Front zeigt keine
Kerl-Fresse, auch kein Millionen-Dollar-Grinsen, sondern verhaltenes Lächeln. Was
schließlich als Google Driverless Car optisch reüssiert, ist… eine Knutschkugel.
Zur besseren Übersicht in der Design-Frage siehe: "Mythos Puch: Formengeschichte"
[link]
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