log #522: from diaspora to diversity

Konvergenz
Eine Streitschrift von Martin Krusche

Seit Monaten, eigentlich Jahren, dröhnt das ganz Land vom Ruf nach Integration. Einige mögen das im Sinne des Wortes ernst meinen. Andere führen uns damit hinters Licht.

Wir hören von manchen Blendern und Schreihälsen den Subtext, der deutlich mitschwingt und offenlegt, welche Doppelbödigkeit sich da entfaltet. Das Wort Integration ist dabei bloß ein Deckmantel, der über die eigentliche Botschaft gebreitet wird, die da lautet: Ihr sollt werden wie wir sind!

Das ist nicht Integration, sondern Assimilation.

Man könnte den Begriff Assimilation günstig deuten als einen Austausch zwischen unterscheidbaren Gruppen, die sich einander angleichen, die das Unterscheidbare verschwinden machen. Dabei steht uns aber die eigene Geschichte im Weg, die in Fragen der Identität zur Unschärfe verleitet.

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Wer sich seiner selbst nicht gar zu bewußt ist, wer also nicht ausreichend selbstbewußt in der Welt steht, wird beim Assimilations-Thema eher zu jenen eurozentristischen Klischees neigen, die uns seit dem 19. Jahrhundert begleiten und die immer dann ebenso wohlfeil wie nützlich sind, wenn wir unsere schwächelnde Identität verbergen möchten.

Dann kommt ganz leicht ein „Herrenmensch“ zum Vorschein, der seine Selbstdefinition durch Feindmarkierung betreibt.

Der „Herrenmensch“, dem die Selbsterforschung ebenso anstrengend ist, wie ihm der Wissenserwerb als Zeitvergeudung erscheint, sagt ja über sich nicht:
Ich bin dies oder ich bin das, denn ich komme aus jenen Verhältnissen, habe solche Bücher gelesen und derlei Diskussionen verfolgt, mag diese Musik und mag jene Malerei, hab an Arbeiten folgendes schon getan und einiges davon wieder gelassen, bin ein Kind dieses Teils unseres Landes, weil ich so und so gelebt habe, fühle mich geprägt und inspiriert von folgenden Menschen, die auf mein Leben in nämlicher Weise Einfluß genommen haben…

Nein, der „Herrenmensch“ sagt einfach: So wie die da sind, so sind wir nicht. Das ist doch klar!

Und damit ist jetzt nichts gesagt, soll aber alles gesagt sein, da schiebt man noch hinterher: Und überhaupt, die Werte des Abendlandes, des christlichen Abendlandes!

Ja. Gut. Christlich. Lesen Sie die Bergpredigt! Mehr erwarte ich gar nicht von diesen Bewahrern unseres christlichen Abendlandes, denen das womöglich auch nichts sagt: Bergpredigt.

Aber ich selbst, ein praktizierender Heide, brauche mich gar nicht auf diese Stoffe zu berufen, zumal uns die Geschichtsschreibung verrät, was das Abendland sei, das gar nicht so sehr ein christliches Abendland ist, wie Christen gerne annehmen.

Doch es ist ein Abendland, dessen Kultur im Jahrtausendausmaß durch den regen Austausch zwischen Wißbegierigen und Weisen aus christlich und moslemisch regierten Reichen wuchs und wurde. Wer das ignoriert oder unterschlägt, ist entweder ein Agent der Blödheit oder läßt es an guten Absichten fehlen.

Unter solchen Leuten handelt Assimilation von der aussichtslosen Erwartung, die Angekommenen sollten in unserer Landesbevölkerung aufgehen, um nicht mehr dadurch aufzufallen, daß man ihnen eine Herkunft jenseits unserer Landesgrenzen anmerkt.

Das ist gewissermaßen ein nach dem Inneren des Landes gerichteter Kolonialismus.

Das ist eine Arroganz, die eine kollektive Identität behauptet, von der wir nichts näheres wissen, nichts wissen können, weil diese Vorstellung einer „nationalen Identität“, eines solchen „Wir“, ein Phantasma ist, eine menschliche Erfindung, ein Produkt von Ideologie.

Dabei werden im sozialen Kräftespiel von Inklusion und Exklusion etliche Kategorien aus Stammesgesellschaften völlig unscharf auf moderne Nationalstaaten übertragen.

Ich erkenne an, daß Familien, Clans, auch Menschen aus einem bestimmten Dorf, einem bestimmten Tal, einer bestimmten Region so viel kulturelle und psychische Gemeinsamkeit entwickeln können, daß sich ein „kollektives Wir“ beschreiben läßt.

Ich bestreite aber entschieden, daß ein Staatsvolk von acht Millionen Seelen oder mehr, wo es um soziale Bedingungen im Gemeinwesen geht, in solchen Kategorien noch treffend beschrieben werden kann.

Ich fordere in der Sache eine Errungenschaft Europas ein, die mindestens seit der Kodifizierung des Römischen Rechts zu unserem Ringen um gesellschaftliche Klarheit gehört, nämlich das Absehen von familiären Bindungen und die Anerkennung des politischen Wesens, das als Staatsbürgerin oder Staatsbürger auftritt, das so zu einem Staatsvolk beiträgt, welches nicht nach ethnischen Kategorien definiert ist, sondern nach rechtlichen Prinzipien.

Wenn wir heute überprüfen, wie die Ängstlichen den Vertriebenen aus den Elendsregionen dieser Welt gegenüberstehen, hören wir zwar den Ruf nach Integration, aber wir sehen von diesen vorlauten Kreisen nicht eingelöst, was das Integrieren in menschlicher Gemeinschaft von den Menschen verlangt.

Die Botschaft müßte lauten:
- Wir werden uns aneinander und miteinander verändern.
- Das ist das grundlegende Wesen von Kultur.
- Wir werden uns einander zuneigen.

Dafür gibt es einen Begriff: Konvergenz.

Konvergieren bedeutet, sich einander zuneigen, sich einander annähern. Das heißt, beide Seiten bewegen sich, nehmen Veränderungen in Kauf.

Wenn also Konvergenz ein sich einander Zuneigen bedeutet, macht der Begriff Zuneigung unmißverständlich klar, derlei sollte von Achtsamkeit, von Neugier und Aufmerksamkeit, wohl auch von Warmherzigkeit handeln, mindestens von einem lebhaften Interesse an dem, was einem neu, was einem fremd ist.

Sie denken, das sei eine neue Herausforderung?
Das denke ich nicht.

Was glauben Sie denn, wie sich ein multiethnisches Imperium ereignet hat, welches Österreich als Haus Habsburg mehr als ein halbes Jahrtausend lang gewesen ist?

Eine Integration, die also eigentlich Assimilation meint und Konvergenz nicht in Erwägung zieht, ist eine Lüge von der alle Beteiligten beschädigt werden. Wir genauso wie jene, denen wir Platz in unserer Mitte verweigern.

Zu „Diaspora: Ein Gastmahl“
Freitag, 26.2.2016
In der Kanzley, Schloß Freiberg

-- [Die Veranstaltung] [From Diaspora to Diversity] --


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9•16