log #462: jelena juresa

Bilder der Liebe und Verlust und Schuld

…He was a graceful man. Who knew the battle. And knew that it’s for ever. That there was no escape from love and loss and guilt… (J. Hart)

In ihrem Buch „The Truth About Love“ erzählt Josephine Hart über die Liebe und über den Verlust. An einer Stelle sagt sie, egal wie du die eigene Vergangenheit auszulöschen versuchst, irgendwann kommt sie zurück, um über dich ein Urteil abzugeben. Dann musst du dich ihr stellen, du musst in die moralische Landschaft der Erinnerungen eintreten.

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In ihrem Werk „Mira, Study for a Portrait“ legt Jelena Juresa ein Spektrum an Erinnerungslandschaften dar, wo jede von uns eine für sich finden kann. Aus ein paar während der Recherche gefundenen Fotos, deren zugehörige Fotoalben schon längst nicht mehr existieren, versucht die Künstlerin nicht nur die Geschichte einer Familie wiederzugeben, sondern sie versucht die Geschichte einer Region während des letztes Jahrhunderts auf eine menschliche Dimension herunterzubrechen und dieser ein neues Fotoalbum zu geben.

Die so entstandenen Fotografien und Videoaufnahmen überlappen sich mit dem von der Künstlerin erstellten Narrativ, das sie aus den Erzählungen diverser befragter Personen zusammenbaut. So betrachtet fotografiert und filmt die Künstlerin die Bilder nicht nur, sondern sie schreibt diese Bilder aus. Die festgehaltenen Momente gehören nicht nur einer Person, einer Vergangenheit. Sie beinhalten mehrere Vergangenheiten, mehrere Geschichten, mehrere Personen und mehrere Familien...

„Mira“ ist sowohl eine Erzählung von Liebe und Mut, als auch eine Geschichte von Untaten und Leiden. Die Geschichte vom Töten und Sterben ist schwer, wird aber in sehr knappen Sätzen zum Ausdruck gebracht, um dann, im nächsten Moment, durch die Bilder einer unschuldigen Natur sich wieder dem Leben zu widmen. Die Menschen gehen, die Natur bleibt. Und die Erinnerungen bleiben, sowohl in uns Menschen als auch in der Landschaft, die uns Juresa präsentiert. Das sind nicht irgendwie zufällig gewählte Landschaften.

Blumen, Schmetterlinge, Eschen, sie alle leben dort an Orten, an welche die Menschen nicht mehr zurückkehren. Auf diese Weise schafft es Juresa, diesen Orten neue Bilder zu geben, welche auf keine Weise die Erinnerungen verdrängen wollen. Juresa greift das seit Adorno immer wieder diskutiertes Thema auf, ob und wie die Künstlerinnen und Künstler jene Herausforderung annehmen sollen, um dem Unbegreiflichen ins Gesicht zu sehen.

Genau wie uns die Radikalität eines begangenen Verbrechens zwingt, das Recht und die Anthropologie neu zu denken, wie es auf unterschiedlichen Weise auch Primo Levi und Paul Celan gezeigt haben, so zwingt uns das „Unvostellbare“, jenes Bild, statt es zu eliminieren, neu zu denken. Jelena Juresa bietet uns in dieser Arbeit eine mögliche neue Denkweise an.

Wenn die Theorie die Intermedialität als „Erkennung der Ausdruckform eines Mediums innerhalb eines anderen“ versteht, dann ist Juresas Werk ein Beweis dafür. Ihre Bilder sprechen die Texte aus und ihre Texte schaffen die Bilder neu. Die Poesie einer slawischen Dichterin füllt die Bewegungen einer Fado-Tänzerin neu aus. Der Fado-Tanz gibt den slawischen Versen einen neuen Rhythmus.

Genau wie die Familie Pereras ihre Geschichte mit den Geschichten anderen Familien irgendwo am Balkan neu zusammengeschrieben hat, um uns allen gemeinsam die gleiche Frage zu stellen „Što te nema?“ („Wieso bleibst du weg?“) Und die Antwort, sie schwebt in Zwischenräumen dieser Felder. Sie wartet darauf, von unserem Einfühlungsvermögen entdeckt zu werden.

Mirjana Peitler-Selakov

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