log #447: the track: axiom | 2014

kunst ost
labor: memo
2.4.2014

Kuratorium für triviale Mythen
Wo sich Werkstatt und Atelier berühren

Unsere Vorfahren in der agrarischen Welt wußten:
Der Mangel ist ständig da, die Not gesellt sich oft dazu.

Die Oststeiermark war über Jahrhunderte ein „Armenhaus“ der Monarchie. Die klein strukturierten Selbstversorgerwirtschaften, bei denen eben überwiegend nicht für den Markt produziert wurde, hatten keinerlei ausreichende ökonomische Kraft, um dies zu ändern.

Wenn wir heute in der Region Vollbeschäftigung und einen hohen Lebensstandard genießen dürfen, hat das mit jüngeren Entwicklungen zu tun, deren Früchten erhalten werden sollen.

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2010: Kulturkonferenz in einer Autowerkstatt (Kuratorin Mirjana Peitler-Selakov)

Das Handwerk spielt dabei eine zentrale Rolle, einfallsreiche Kaufleute fanden dabei neue Möglichkeiten. Es entfaltete sich eine Situation, in der das kulturelle Klima Prägungen aus der agrarischen Welt, von industriellen Feldern und aus urbanem Leben bezog.

Wir werden beim Gleisdorfer Kunstsymposion 2014 einen Round Table einberufen, der ein Arbeitsjahr (2015) einläuten soll, in dem wir uns vom kulturellen Feld her jenen Teilen der Arbeitswelt annähern, wo nach unserer Einschätzung Handwerk, Kunst und Kultur aus gemeinsamen Quellen schöpfen.

Dabei geht es auch um eine Geste der Wertschätzung gegenüber dem kulturellen Potential körperlicher Arbeit, denn der Geist bezieht jederzeit wichtige Impulse von der Handfertigkeit.


Ein Stück kulturgeschichtlicher Basis


Mangel und Not waren einst ständige Begleiter der breiten Bevölkerung. In der industriellen Revolution begannen sich Ausgänge aus dem Massenelend abzuzeichnen. Durch die daraus resultierenden sozialen Umbrüche bekamen Konsequenzen der Aufklärung neue Rahmenbedingungen.

So veränderte sich unsere Kultur radikal in einem Wechselspiel der Kräfte zwischen Handarbeit und Kopfarbeit

Seit dem 18. Jahrhundert steht „der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ nachhaltig zur Debatte. Immanuel Kant definierte als Unmündigkeit „das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“.

Er hinterließ uns auch eine klare Vorstellung, welche Art Ausweg aus der Unmündigkeit gangbar sei. Kant meinte: „Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“

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2012: Kunstsymposion in der Fabrikshalle

Daher empfahl er: „Sapere aude! Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“

Warum beschäftigt uns das derzeit in unserem Kuratorium für triviale Mythen? Einige unserer Projektschritte haben zu Vermischungen von Genres geführt, die bestimmten Stereotypen und Klischees widersprechen. Das berührt den Themenkomplex „Kopf- und Handarbeit“, bei dem häufig angenommen wird, das seien getrennte Optionen. (Als wäre kopflose Handarbeit überhaupt denkbar.)

Ich hole etwas weiter aus. Das griechische Wort „téchne“ bezeichnet handwerkliche Fähigkeiten. Was in diesem Sinn „eine Kunst“ sei, ist Kunstfertigkeit, also Technik. Das hat nichts mit dem zu tun, was wir heute unter Kunst verstehen; im Sinne der Gegenwartskunst.

Dieses vielfältig Handwerkliche ist in der Antike unter den Artes mechanicae zusammengefaßt gewesen, was „Praktische Künste“ meinte.

Dem gegenüber waren die „Freien Künste“ (Artes liberales) als höherwertig angesehen. Polemisch verkürzt: Freie Künste galten als etwas, womit sich „Freie Männer“ befaßt haben. Sie mußten in der Logik damaliger Gesellschaften selbstverständlich höher eingestuft werden als die Sklavenarbeit der Handwerker. Die soziale Kluft zwischen diesen Milieus war unermeßlich groß.

Rechtfertigt das heute noch ein Herabsehen auf körperliche Arbeit? Würde die immer noch nachweisbare Abschätzigkeit gegenüber „Hacklern“, Handwerkern, in weiten Bereichen unserer Alltagskultur nicht energische Einwände erfordern?


Round Table beim Kunstsymposion


Unsere Praxis der Kulturarbeit zeigte in den letzten Jahren der Projekte von Kunst Ost, daß in einer konsequenten Auseinandersetzung mit ausgezeichneten Handwerken an ihnen eine Intellektualität erlebbar ist, die jener von Kunstschaffenden nichts nachsteht.

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