log #439: the track: axiom |
2014 Vom Dreißigjährigen Krieg
(1618-1648) heißt es, er habe die Menschen Europas so hart getroffen und traumatisiert,
daß die Nachwirkungen teilweise bis heute in unserer Mentalitätsgeschichte auffindbar
seien. Ein Religionskrieg, ein Krieg um Vorherrschaft.
Barock und Gegenreformation liegen zwischen diesem und dem zweiten
Dreißigjährigen Krieg, der Europa von 1914 bis 1945 erschütterte. Ein Kräftespiel wie
zum Hohn all dessen, was heute gerne als abendländische Werte betont wird.
Jacques Callot: Die Schrecken des
Krieges; 11. Der Galgen, 1632
Es ist genau so gemeint, wie es klingt: Der
Große Krieg und der Zweite Weltkrieg sind derart fundamental
verknüpft, daß diese Deutung Zweiter Dreißigjährigen Krieg auch
in der Geschichtsforschung sehr ernst genommen wird.
Ich habe die Gegenreformation erwähnt, weil sie genannt werden muß, wenn wir darüber
nachdenken, wie herrschende Eliten den Begriff abendländische Werte
beliebig mit ihren Inhalten befüllen und all das entsprechend beliebig anwenden.
Allein die abschätzigen Türkenbilder mit ihren Jahrhunderten der Tradition
in der Innenpolitik der Habsburger haben uns da viel in Sachen Menschenverachtung
beibringen können. Dieses altgediente Konzept der Feindkonstruktion erlebt gerade ein
enormes Comeback, während der Antisemitismus bei uns nie aus der Mode kam.
Wer Videos sah, wie Ratko Mladic in den 1990ern, flankiert von seiner Soldateska, in ein
eben geräumtes bosnisches Dorf stapfte und dabei mit wütendem Gesichtsausdruck
Verwünschungen gegen die Türken ausstieß, erhielt einen lebendigen Eindruck
von der Wirkung solcher Traditionen, dem kulturellen Weitertragen von Feindbildern, die
dann jenseits konkreter historischer Erfahrung.eine Art "Eigenleben" entfalten
dürfen.
Die auf feindselige Art eingesetzten Türkenbilder aus habsburgischer Tradition
sind auf adaptierte Weise Inventar unserer heutigen Innenpolitik. Dazu die verschiedenen
Ausdrucksformen des Antisemitismus als verläßlicher Standard in der Berichterstattung
unserer Medien, weil unterschiedlich gravierende Vorfälle nicht abreißen, sondern immer
noch laufenden Betrieb belegen.
Mehr haben christliche Verteidiger des Abendlandes
nie gebraucht, um ihr eigenes Handeln zu legitimieren: Den altgedienten Antisemitismus
und die jüngeren Türkenbilder, heute als antiislamische Feindbilder recycled.
Der Zweite Dreißigjährige Krieg bündelte all das in seiner Essenz,
rüstete das Personal rassistischer Konquistadoren ideologisch und technisch hoch,
stattete es auf bis dahin nicht gekannte Weise mit technischen Mitteln und massenmedialen
Kommunikationsweisen aus.
Solche Betrachtungen beschäftigen mich, wo ich gerade den Auftakt von The
Track: Axiom | 2014" gestalte, in dem deutlich werden soll, warum ich weinige
Arbeits- und Themenlinien von Berliner Kongreß (1878) herleite und bis in meine/unsere
Gegenwart heraufführe.
Vor dem Abschnitt The Track" stand in
meinem Langzeitprojekt der Abschnitt "Next Code". Damals beschäftigte
mich die Vorstellung, wir könnten mit unseren Mitteln als Kunst- und Kulturschffende Wege
finden, die menschenverachtenden Codes, in denen auch heute unsere innen- und
außenpolitische Situation dargestellt und debattiert wird, durch einen "nächsten
Code" ablösen.
Ich konnte aber nicht einmal in meinem eigenen Milieu
feststellen, daß wir mehrheitlich in der Lage wären, die etablierten Bilder in uns
selbst angemessen zu reflektieren und mindestens auf den Feldern unseres Metiers andere
Modi zu etablieren.
Darum schließlich "The Track: Axiom",
denn ein Axiom wird nicht von Bestehendem abgeleitet. The Track: Axiom |
2014" ist nun als TEIL eines komplexeren Vorhabens angelegt, mit dem wir, ein
Kreis sehr unterchiedlicher Kulturschaffender, korespindieren und kooperierend in die
nächsten Jahre hineingehen.
+) The Long Distance Howl: [link]
+) The Track: Axiom | Südost: [link]
+) The Track: Axiom | 2014: [link]
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