log #409: weg mit der kunst! Ein Mission Statement
Von Martin Krusche
Seit wir Demokratie kennen, kennen
wir auch die Frage, ob sich die Demokratie selbst abschaffen dürfe. In einem Bezugssystem
purer Satzwahrheiten" wäre diese Frage vielleicht interessant. Da wir aber --
als soziale Wesen -- meist auf Sinn ausgerichtet sind, scheint es einigermaßen sinnlos zu
sein, daß sich jemand auf demokratische Freiheit beruft, um demokratische Freiheit
abzuschaffen.
Wir haben allerdings stets neu zu verhandeln, nach welchen
Kriterien wir welche Freiheiten als allgemeins Gut" außer Streit gestellt
sehen möchten. Dazu müssen wir verstehen, was in uns selbst vorgeht und wie wir mit
anderen darüber kommunizieren können. Das sind zugleich "Kernzonen" der Kunst.
Kaum eine andere Profession ist der Erweiterung und Verfeinerung solcher Möglichkeiten
derart grundlegend gewidmet.
Als mir dieser Tage mitgeteilt wurde, "fakt ist,
kein mensch BRAUCHT kunst. kunst ist luxus. genauso wie ein fettes auto oder ein
urlaub.", war für mich klar, daß wir nun erhöhten Klärungsbedarf haben. Die
Art, wie mir derlei Weisheiten übermittelt wurden, machte außerdem deutlich: Wir brachen
dabei nicht zimperlich zu sein. Voilá!
Vom Grundsätzlichen her: Demokratie heißt nicht, daß
immer die Mehrheit bestimmt, sondern daß auch Minoritäten gehört werden. Deshalb haben
wir uns auf Grundsätze geeinigt und Konventionen festgelegt, die anerkannte Werte
ausdrücken und in einer Demokratie gegebenenfalls auch von einer Minderheit gegenüber
der Mehrheit durchgesetzt werden müssen.
Das kommt beispielsweise in Fragen der Menschenrecht, der
Bildung und in kulturellen Fragen zur Anwendung.
In solchen Zusammenhängen muß ich mich, falls ich eine
unpopuläre Position vertrete, vor einer Mehrheit nicht legitimieren. Als praktizierender
Künstler, als Professional des Kunstfeldes, gehöre ich einem sozial marginalisierten
Teil dieser Gesellschaft an, dessen grundlegende gesellschaftliche Bedeutung als geklärt
gelten darf, was freilich in allgemeiner gesellschaftlicher Lebenspraxis noch keineswegs
überall angekommen ist.
Aus dieser Lage fordere ich keine Sonderrechte, sondern
bloß das, was allen zustehen muß. Ich darf meine Position verteidigen, indem ich meine
Gründe nenne. Ich darf unredliche Anfechtungen mit allen mir verfügbaren Mitteln
zurückweisen. Wir leben zum Glück in einem recht sicheren Land, wo ich nicht um Leib und
Leben fürchten muß, sobald ich etwa dem Regime oder dem Boulevard widerspreche.
Ich bin streitbar.
Das liegt in meinen sozialen Erfahrungen begründet. Diese
Gesellschaft, ein Produkt der Gegenreformation und ab dem 20. Jahrhundert willfährig der
jungen Massenkultur ergeben, hat sehr düstere Seiten. Diese Seiten lassen sich
gewöhnlich nicht mit roher Gewalt eindämmen, sondern mit Esprit und Bildung, mit
sozialen Qualitäten, über ästhetische Erfahrungen (Wahrnehmungserfahrungen), über
soziale und intellektuelle Prozesse.
Das sind in Summe soziale Agenda, soziokulturelle
Aufgabenstellungen. Ich repräsentiere eine der Professionen, die in einer Gesellschaft
für solche Bereiche sorgen.
Hier sind wir also. In einer Ära, da die Menschen dieses
Landes sich großteils einer massenmedial erzeugten Breitenkultur" ergeben
haben, eingebettet in die Wohltaten vom Boulevard, unterhalten durch Infotainment
und Telenovelas. Eine Gesellschaft, die nun schon viele Jahre hinnimmt, daß
Wissens- und Kulturarbeit permanent abgewertet, budgetär zunehmend ausgetrocknet wird.
In solchen Tagen einer billigen Abfertigung von Massen und
einer zunehmenden Verschnöselung der Mittelschicht lasse ich mich in meiner beruflichen
Integrität keinesfalls leichtfertig desavouieren, von schlecht gerüsteten Spießern
attackieren, ohne adäquat zu antworten.
Dieses Volk zehrt von erheblichen Reserven, weshalb das
langjährige Wirken von Stagnation und Kompetenzverlusten in dieser Gesellschaft noch
keine größeren Katastrophen ausgelöst hat. Aber ich sehe als Kulturschaffender längst
gute Gründe, um der Wißbegier, dem Erfahrungshunger und dem seriösen Umgang mit
Kompetenzen wie Lernprozessen stabile Positionen zu sichern.
Zum diesbezüglichen Aktionsfeld gehört auch ganz
wesentlich der öffentliche Raum, in dem öffentliche Diskurse etabliert werden.
Wenn in dieser meist medial erzeugten Öffentlichkeit
unseriöse Angriffe auf mein Berufsfeld erfolgen, dann habe ich, dann haben wir in eben
dieser Öffentlichkeit zu antworten. Deshalb also nun hier die Reihe Weg mit der
Kunst!", ausgestattet mit einer Headline, die ich von Künstler Helmut Rabel
übernommen habe.
[übersicht]
core | reset | home
413 |