log #352: kuratorium für triviale mythen

Stereotypen helfen uns bei der Bewältigung des Alltags. Sie erleichtern uns jene Komplexitätsreduktion, die für manche Abläufe von Vorteil ist. Sie haben aber auch das Zeug, zu Problemen zu werden, zu Barrikaden auszuwachsen. Rollenklischees sind natürlich höchst lebbare Konzepte. Unser „Kuratorium für triviale Mythen" ist gewissermaßen der Praxis und der Reflexion solcher Zusammenhänge gewidmet.

Der Themenkomplex umgibt uns andauernd. Anders ausgedrückt, es wird uns nie fad. Kleiner Einschub: Kolumnistin Gerti Senger eröffnete einen Beitrag unter dem Titel „Garten der Lüste" ("Krone bunt", 29.5.2011) mit folgendem Absatz.

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Kunsthistorikerin Mirjana Peitler-Selakov befaßt sich gerade konzentriert mit dem Thema „Frauen, Technik, Macht": [link] Das wird unter dem Titel „FMTechnik!" Niederschlag in den Aktivitäten von „kunst ost" finden. Da stieß ich gerade auf einen anregenden Text.

Tanja Paulitz sucht in „Wie männlich ist die Technik?" einige „Sozialwissenschaftliche Antworten auf eine scheinbar einfache Frage". Sie widmet sich in diesem Text westlichen Gesellschaften.

Paulitz zitiert im Auftakt die amerikanische Historikerin Ruth Oldenziel und deren Überzeugung, daß die Liebesaffäre von Männern mit der Technologie eine gesicherte Tatsache sei. Oldenziel scheibt nicht „love", sondern „love affair": „Men's love affair with technology is something we take for granted."

Das wäre österreichisch wohl mit „Gspusi" zu übersetzen, auch im Sinne von „eine schlampige G’schichte", also ein schlampiges Verhältnis, mit dem man in Begehren, auch Obsessionen, seine „geordneten Verhältnisse" ergänzt. Ich merke unterm Schreiben, das klingt hier viel netter als es gemeint ist.

Dieser auf Technologie bezogene Eros, also das Begehren, welches Platon im „Symposion" keineswegs bloß als sexuell konnotiertes Verlangen, sondern als ein thematisch viel umfassenderes Hingezogensein beschreibt, diese Affäre mit Technologie, genauer: mit Maschinen, findet auch an den Stammtischen Bestätigung. Etwa in „Männerwitzen" wie diesem: Warum haben viele Männer die Frauen gerne in Lack und Leder? Riecht so gut nach neuem Auto.

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Bernhard Kober (links) beim "Hubschraubereinsatz" für "Close To Nature"

Paulitz befaßt sich mit einer „männlichen Codierung der Technik". Wer sich fragt, was uns Burschen da so anzieht, kann schon in der griechischen Mythologie Hinweise finden, welche Vorteile einem dieser oder jener Technolgievorsprung einbringt. Dazu braucht man sich bloß das Oeuvre von Hephaistos dem Schmied ansehen. Fahrzeuge, Waffen, Bauwerke... Nebenbei noch Aphrodite als Ehefrau, dieser mythische Ingenieur, hinkend, vermutlich grobschlächtig, voller markanter Talente, gibt seit Jahrtausenden ein bemerkenswertes „Role Model" ab. Ich empfehle einen Besuch in den Garagen der Hot Rod-Szene, dort trifft man heute zeitgemäße Versionen dieses Schmieds an.

Was nun die negativen Konsequenzen dieser Affären angeht, haben wir es gut verstanden, sie umzudeuten ums Leben kam kulturelle zu inszenieren. Als Phaeton mit dem Sonnenwagen seines Vaters ums Leben kam, weil er dem Fahrzeug nicht gewachsen war, steckte er fast die ganze Welt in Brand. Wen schert's? Das Interesse liegt beim Sonnenwagen, den übrigens Hephaistos gebaut hat.

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Dädalus und Ikarus: Warum ist der tote Dummkopf der Held?

Warum ist Ikarus, nach dem sogar ein Meer benannt wurde, der Held? Sein Vater Dädalus wer der solide Flieger, er blieb in die Lüften, bis er sein Ziel erreichte. An ihn erinnert sich niemand mit Emotion. Ikarus hingegen, der höher hinaus wollte und deshalb zu Tode stürzte, hat Geschichte gemacht.

Paulitz bezieht von Judy Wajcman die Ansicht, Technik sei nicht bloß „eine Gruppe von physikalischen Objekten", sondern auf fundamentale Weise auch „die Verkörperung einer Kultur oder einer Reihe gesellschaftlicher Beziehungen, die sich aus bestimmten Arten von Wissen, Glauben, Wünschen und Praktiken zusammensetzen".

Das ist eine Art dieses Thema zu umreißen, die mir für unsere Arbeit sehr passend und praktisch erscheint. Es wird kein Zufall sein, daß unser „Kuratorium für triviale Mythen" in seiner Gründungs- und Startphase als „Männerklub" erschien (Emil Gruber, Bernhard Kober, Martin Krusche, Franz Sattler), auch wenn sehr schnell inspirierte Frauen im Boot waren, etwa die Ingenieurin Mirjana Peitler-Selakov oder die Kunsthandwerkerin Ida Kreutzer.

Die von Paulitz betonte Flexibilität geschlechtlicher Codierungen von Objekten und Tätigkeiten finde ich auch sehr interessant. Bei „kunst ost" haben wir nun seit einiger Zeit an einer Konkretisierung des Themenbogens „Zwischen Landwirtschaft und High Tech" gearbeitet, weil dieser Themenzusammenhang jene Region geprägt hat, in der wir momentan hauptsächlich aktiv sind.

Die unglaublichen soziokulturellen Veränderungen, wie sie hier nach dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden haben, sind derart radikal, davon haben wir nach wenigen Jahrzehnten kaum noch eine Vorstellung. Diese Veränderungsschübe sind ganz wesentlich mit zwei Begriffen verknüpft: Maschinisierung und Modernisierung. Das hieß so und so: Effizienzsteigerung. Daran hängt mit etlichen Querverbindungen auch das Thema Massenmotorisierung, wodurch unsere Mobilitätsgeschichte vollkommen neue Dimensionen erhalten hat.

Daß genau dieser Themenkomplex sich gerade als brisant aufdrängt, wo Finanzkrisen, Landflucht, ökologische Probleme und einiges mehr begonnen haben, die Strukturen der „Provinz" völlig zu verändern, ist Wasser auf eine unserer Mühlen.

[Kuratorium für triviale Mythen]
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coreresethome
23•11