log #349: kuratorium
für triviale mythenAuf den ersten Seiten seines Buches "Verkehrsgeschichte und
Mobilität" stellt Christoph Maria Merki fest: "Verkehr ist eine
Verhaltensweise, die allen menschlichen Gesellschaften eigen ist."
Er verweist an andere Stelle auf
eine These von Arnulf Grübler, die besagt, Menschen würden seit Urzeiten täglich im
Schnitt ein gleiches Zeitmaß für die Fortbewegung aufwenden. Das sei
"transhistorisch", in agrarischen und urbanisiert-industriellen Gesellschaften
gleichermaßen, nämlich "eine bis anderthalb Stunden" pro Tag.
Wir sind für unser Vorhaben nun nicht darauf
angewiesen, diese These zu verifizieren oder falsifizieren. Sie mag als Anregung zur
Bewertung des Themas nützlich sein. Ein anderer Hinweis auf die Relevanz solcher
soziokultureller Projekte, wie sie uns beschäftigen: Am 9. Mai 20011 titelte das
Wochenmagazin "profil": "Warum
der Mensch gut oder böse ist. Was ist Moral, und wozu brauchen wir sie?" Neben dem Beginn der "Coverstory" auf Seite 126 fand ich
eine bemerkenswerte Statistik mit dem Titel "Kavaliersdelikte. Die lässlichen
Sünden der Österreicher (Mehrfachnennungen möglich, Angabe in Prozenten.) |
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+) Als Fußgänger
bei Rot die Straße überqueren: 69,2
+) Zu schnell Auto fahren: 68,3
+) Beim Autofahren ohne Fernsprecheinrichtung telefonieren: 54,4
+) Rad fahren im Wald: 43,9
+) Schwarzfahren in Öffis: 41,6
+) Müll nicht richtig entsorgen: 39;9
+) Mitnehmen von Büromaterial: 39,4
+) Mit dem Auto am Zebrastreifen nicht stehenbleiben: 36,1
+) [...]
In diesem Ranking gibt es also fünf
erste Meldungen, die mit Verkehr, Mobilität und Fahrzeugen zu tun haben, bevor etwas
anderes auftaucht, nämlich Müll und Büromaterial.
Von insgesamt 17 genannten
"Sünden" haben acht mit Verkehr und Mobilität zu tun, die letzte Nennung zum
Teil auch, sie wäre eine neunte:
+) Falsche Angaben bei der Versicherung: 6,0
Fünf von 17 haben direkt mit Automobilen zu tun.
+) Alkoholisiert Auto fahren: 18,9
+) Drängeln auf der Autobahn: 14,2
... sind auch nicht gerade harmlos.
Polemisch verkürz: Rund die Hälfte
der als vorrangig aufgelisteten "Kavaliersdelitke" meiner Landsleute sind dem
Thema Mobilität gewidmet. Ich schließe daraus, daß wir gute Gründe haben, an diesem
ganzen Themenkomplex mit soziokulturellen Fragestellungen und mit Deutungen der trivialen
Mythen zu arbeiten.
Apropos Statistik! Wo darf wer
welche Energiemenge konsumieren? Da finden wir verblüffende Gefälle, deren
Darstellung einen bescheidenen Hinweis darauf gibt, wie wenig der Standard, den wir für
selbstverständlich halten, ein weltweiter Standard ist. (Weitet man diese Überlegungen
auf sauberes Wasser und Lebensmittel aus, kommt man einigermaßen ins Grübeln.)
Es wird in gegebener Form kein gar
so präzises Werkzeug sein, aber es nützt sehr für eine grobe Orientierung bezüglich
der Verhältnisse und der Möglichkeiten verschiedener Nationen:
"Energieverbrauch pro
Kopf. Primärenergieverbrauch
(vor der Umwandlung in andere Endanwendungskraftstoffe)
in Kilogramm Öleinheit, pro Kopf."
[link]
Wer sich schon auf einige Stationen
des "Kuratoriums für triviale Mythen" eingelassen hat, wird wissen,
daß in dessen Zentrum ein kleiner Personenkreis wirkt, welcher sich dem "Avantourismus"
verschrieben hat. In diesem Grüppchen wird mit Ernst, Augenzwinkern und Unernst zugleich
operiert.
Das handelt AUCH von der Tatsache,
ohne Ambivalenz nicht durch diesen Themenkomplex zu kommen. Hier ein Beispiel für die
extreme Gegenposition zu rationalen Zugängen: Ein 650 PS starker 1967er
Camaro mit einem "blown big block", also mit einer kompressorgeladenen
Maschine im Bereich von sieben Litern ... Hubraum, nicht Verbrauch!
Diese und ähnliche BILDER sind in
unserer Kultur dominant, obwohl derartige Fahrzeuge nur für Minoritäten verfügbar sind,
was vermutlich sehr wesentlich zu ihrer Attraktivität beiträgt.
Automobile waren von Anfang an mit
ideologischen Themen befrachtet und hatten mindestens so viel an repräsentativen Aufgaben
wie rationale Zwecke des Transports von Passagieren und Gütern. Wir haben also nicht
bloß rationale Fragen zu lösen, wenn die Ära der für ein Massenpublikum verfügbaren
Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren nun merklich dem Ende zugeht.
[Kuratorium für triviale Mythen]
[april-festival 2012]
[flame-log]
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