log #347: die letzten dinge

In der Theologie gilt die "Eschatologie" als die Lehre von den "Letzten Dingen". Das ist also eine zutiefst christlich geprägte Betrachtungsweise, solche Zusammenhänge rund um ein individuelles Lebensende in dieser Weise zu beschreiben.

Ich habe weder eine anziehendere Sprachregelung gefunden, noch gute Gründe, zu dieser Formulierung auf Distanz zu gehen. Daher übernehme ich sie hier für unser Teilvorhaben im Rahmen von "kultur.at" und "kunst ost": "Die letzten Dinge".

Dabei gestatte ich mir die Freiheit, mich in der Anwendung dieser Begrifflichkeit auf den Bereich der Annäherung an den Tod zu konzentrieren, wogegen das christliche Verständnis vor allem den möglichen Abschnitt danach meint, denn die Eschatologie handelt von Tod, dem Jüngsten Gericht bzw. der Apokalypse, dem Himmel und der Hölle.

Ich beziehe mich stärker auf die kulturelle Tradition einer "ars moriendi", die als unverzichtbare Grundlage der "ars videndi" verstanden wird. Und warum? Es gab dafür einige Initialereignisse.

Im Jahr 1991 hatte ich mich nach einigen Erschütterungen langsam gefaßt und beschäftigte mich damit, das Erlebte zu reflektieren. Der Krebstod meines Vaters war für mich eine verstörende Lektion gewesen, mit welcher Wucht ein Leib von der Natur attackiert werden konnte, mit welcher Geschwindigkeit ein Brocken von Mann aus seinem Inneren heraus zerschlagen wurde.

Nichts hatte mich darauf vorbereitet, das Leiden eines Menschen in solchen Dimensionen kennenzulernen. Die vielen Stunden tags und nachts, da mein Vater betreut und begleitet werden mußte, da er längst nicht mehr in der Lage war, sich selbst zu bewegen oder auch nur aus eigener Kraft seine Atemwege freizuhalten, Nahrung zu sich zu nehmen, was auch immer, bekam ich unauslöschliche Eindrücke, mit welchem Ausmaß an Schmerzen und Angst es jemand eventuell bezahlen muß, in seinem Leib, also in dieser Welt zu sein.

Es haben aber noch Lektionen ganz anderer Art geduldig auf mich gewartet. Was geschieht, wenn jemand von so fundamental menschlichen Angelegenheiten berührt und folglich auch erschüttert, gelegentlich völlig verstört wird? Wie reagieren die Menschen in der Umgebung darauf? Was bewirkt es an jenen, mit denen man in den anderen Momenten des Alltags zu tun hat? Ich erinnere mich nicht gerne an die weitreichende Ratlosigkeit und an etliche Fälle von Abkehr, ja sogar Abwehr, die ich an einigen meiner Leute erleben mußte.

Lesen ist mir seit meiner Kindheit oft ein Tor zu Auswegen, wenn ich bei Menschen gerade keinen Rat finde. So war ich unter anderem bei einem schlanken Bändchen des Soziologen Norbert Elias gelandet. (Seine Zivilisationstheorie war mir zu der Zeit schon vertraut gewesen.)

Das Büchlein "Über die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen" half mir wesentlich, über einigen der gehabten Irritationen wieder zu haltbaren Orientierungen zu kommen. Ich war dabei über diesen so simpel klingenden Satz ziemlich verdutzt:

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An anderer Stelle schrieb Elias: "Ehemals war das Sterben der Menschen eine weit öffentlichere Anelegenheit als heute." Tja! Und was bedeutet das nun für uns? Wir werden sehen. Es fiel keinesfalls gerade so aus dem Blauen, dieses Thema nun auch zu einem Arbeitsinhalt in unserem kulturellen Gesamtvorhaben zu machen. Blicke ich bloß auf die wenigen Wochen, die nun unser "April-Festival" 2011 dauert, fällt mir auf, was "Die letzten Dinge" innerhalb so eines kleinen Zeitfensters an Präsenz erreichen.

Die Malerin Herta ist bei diesem Festival etwas auf Distanz, braucht ihre Kräfte, um zu ertragen, daß das Leben ihres Mannes zu erlöschen begonnen hat. Die Lebensgefährtin von Reinhard, dem Verleger, hat sich eben selbst das Leben genommen. Ihre Abkehr von der Welt war so radikal, daß sie nicht einmal eine Nachricht hinterließ. Bei der Vernissage zu einer unserer Stationen ist Sonni, der Lehrer, völlig aufgebracht gewesen und kam davon den ganzen Abend nicht weg, daß er sich -- als wir uns später verabschieden -- sogar dafür entschuldigte: Er mußte eben erfahren, daß sein Sohn Leukemie hat.

Vielleicht sind wir uns einig, daß wir den Menschen in solchen Situationen mindestes das schulden: Du sollst nicht am Schweigen ersticken müssen! Was aber darüber hinaus noch angemessen erscheint, wenn Mitmenschen von diesen Kräftespielen erreicht werden, dem eine Weile nachzugehen, das soll Gegenstand unseres Vorhabens "Die letzten Dinge" sein.

in vorbereitung: [april-festival 2012]


coreresethome
17•11