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virtuosen der täuschungKollektive Aktionen: Reisen aus der Stadt 1976 2010
Ereignis Dokumentation Installation
Von Sabine Hänsgen
Die seit 1976 von den Kollektiven
Aktionen" organisierten Reisen aus der Stadt" bestehen in der gemeinsamen
Fahrt einer Gruppe von Teilnehmern aus der Metropole Moskau in einen
unbesetzten" Naturraum, der die Möglichkeit zur Realisierung alternativer
Formen der ästhetischen Erfahrung und des kollektiven Handelns eröffnet. Meistens ist es
ein schneebedecktes, von Bäumen begrenztes Feld (am Stadtrand, im Park, im Wald), das zu
einer Bühne für minimale Handlungen wird, die Wahrnehmungsmuster und Kategorien
unterhalb der konventionalisierten Sprach- und Bilderwelten thematisieren:
Anwesenheit/Abwesenheit, Nähe/Ferne, Klang/Stille, rhythmische Folge, Pause
Das weiße Feld, das in der Tradition von Kazimir
Malevics Suprematismus, Martin Heideggers Lichtung" und der buddhistische
Shunyata-Konzeption zu verstehen ist, erscheint als Demonstrationsfeld für die Akteure
und als Raum der Wahrnehmung und Reflexion für die Teilnehmer. Bei den Reisen handelt es
sich um Experimente, die der Erforschung des eigenen Bewusstseins, der Selbstbeobachtung
im Zustand der Erwartung eines Ereignisses dienen.
Zwischen dem leeren Zentrum und den Rändern der
Wahrnehmung werden in der ästhetischen Versuchsanordnung der Kollektiven
Aktionen" eine Reihe weiterer Felder, Zonen und Streifen unterschieden, die
miteinander in Beziehung zu setzen sind: Das eigentliche Ereignis spielt sich nicht auf
dem empirischen Feld ab, sondern im Bewusstsein der Teilnehmer. Die Einführung minimaler
Handlungselemente zielt auf die Ausdehnung der Erwartung, die im Verlauf der Aktion
allerdings jeglicher konkreter Inhalte entleert wird. Durch verschiedene Tricks und
Manöver etwa die Ablenkung des Blicks" oder die Erwartung ohne
Erfüllung" werden in der leeren Handlung" vermeintliche Ziele und
Inhalte der Handlungen immer wieder annulliert und eine am illusionistischen Spektakel
orientierte Erwartungshaltung der Teilnehmer enttäuscht.
Dies kennzeichnet auch eine programmatische Serie
von Losungsaktionen der Kollektiven Aktionen". Im Jahr 1977 wurde von der
Gruppe ein Losungstransparent in der Natur aufgehängt, das die Aufschrift trug: Ich
beklage mich über nichts, und mir gefällt alles, ungeachtet dessen, dass ich noch nie
hier war und nichts über diese Gegend weiß."
Ein Jahr später folgte die nächste Losung:
Seltsam, warum habe ich mich selbst belogen, dass ich niemals hier war und nichts
über diese Gegend weiß, denn eigentlich ist es hier so wie überall, nur dass man
das hier noch deutlicher spürt und noch tiefer nicht versteht." Die Beschriftung der
Losungstransparente mit eigenen lyrischen Texten in der Art von zen-buddhistischen
Koan-Sprüchen stellt auch eine Auseinandersetzung mit den Ästhetisierungsstrategien der
ideologischen Kultur dar, die auf die Vortäuschung einer allgemeinen Harmonie
ausgerichtet sind, in der Wahrheit und Lüge, Fakt und Fiktion ununterscheidbar werden.
Die Kollektiven Aktionen" erschöpfen
sich dabei nicht in der Wahrnehmung einer Situation auf dem Feld, die Rätselhaftigkeit
der Handlungen stimuliert vielmehr eine Fülle von kommentierenden Texten. In den Blick
gerät so die Grenze zwischen Sprache und außersprachlicher Realität, zwischen Text und
Nicht-Text, und die situative Erlebnis"-Geste kommt einem Impuls in einer
unendlichen interpretativen Spirale gleich, in der sich Situation und Dokumentation
wechselseitig auseinander hervorbringen. Bei den Kollektiven Aktionen" werden
zunächst textuelle Paradigmen (Instruktionen, Regeln, Planstrukturen) in reale Handlungen
überführt, deren Dokumentation wiederum Text- und Begriffsräume entstehen lässt, die
zum Anlass neuer Aktionen werden.
In über dreißig Jahren wurden von den
Kollektiven Aktionen" bis jetzt 124 Performances realisiert. Bei der letzten
vorgestellten Aktion Dekoration-2010" handelt es sich um die Transformation
einer geplanten Losungsaktion: Statt eines Losungstransparents wurde in der Natur ein
dekoratives goldglänzendes" Objekt installiert, das nach dem Ende der UdSSR
auf die Faszination für Glamour und die Zurschaustellung von Reichtum und Macht als neuer
Ideologie in der Putin-Ära verweist.
Erst über die Dokumentation bzw. Faktografie
werden die Kollektiven Aktionen" auch für Betrachter, die selbst nicht an den
Performances teilgenommen haben, zugänglich. Die Installation ermöglicht es den
Ausstellungsbesuchern, sich auf eine sekundäre" Reise durch verschiedene
Schichten der Dokumentation zu begeben, die aus Beschreibungstexten, Erzählungen,
theoretischen Kommentaren, Diskussionen, Zeichnungen, Fotografien, Videos und einer
Website besteht. Auf diese Weise werden sie nicht nur zu Teilnehmern im Prozess einer
Rekonstruktion der Aktionsereignisse, potentiell können sie die in der Installation
gewonnenen Erfahrungen auch selbst für die Generierung neuer Handlungsperspektiven
nutzen. Der Impuls zur Öffnung neuer Perspektiven ist insbesondere dadurch gegeben, dass
die Installation nicht im traditionellen Kunstraum stattfindet, sondern in einem
Ingenieurbüro am Rande von Gleisdorf, wohin in Analogie zu den Kollektiven
Aktionen" eine Reise aus der Stadt führt.
Kuratiert von Sabine
Hänsgen (D) und Mirjana Peitler (A/SRB)
Projektleitung: Martin Krusche (A)
Eine Kooperation des
"kultur.at: verein für medienarbeit" mit dem Festival "steirischer
herbst"
in weiterer Kooperation mit der Stadt Gleisdorf und dem Verein "kunst ost"
sowie dem "Institut für Kunst im öffentlichen Raum"
[virtuosen der täuschung]
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