Was ist Kunst? Ein großes Thema, das sich nicht auf die
Art bearbeiten läßt, wie man Was ist eine Kardanwelle?" klärt oder Welches
Wellness-Angebot ist heute bei Ihnen günstig?"
Was soll das nun heißen? Erstens heißt das, es tut sich ein riesiges Feld aus, denn
es gibt keinen universellen Kunstbegriff", keine Definition von Kunst,
die quer durch verschiedene Zeiten, Epochen und Weltgegenden anwendbar wäre. Zweitens
heißt das, es gibt kein Internationales Kommissariat zur Festlegung, was Kunst
ist und was nicht".
Es muß also stets neu verhandelt und geklärt werden, was wir gegenwärtig unter
Kunst" verstehen möchten. All das ist ungefähr gemeint, wenn Ernst H.
Gombrich seine international anerkannte Geschichte der Kunst" in der
Einleitung mit folgender Feststellung beginnt: Genau genommen gibt es 'die Kunst'
gar nicht. Es gibt nur Künstler."
Rund 600 Seiten später geht Gombrich auf diese Aussage noch einmal ein: Damit
wollte ich natürlich sagen, dass das Wort 'Kunst' zu verschiedenen Zeiten Verschiedenes
bedeutet." In diesem Standardwerk der Kunstgeschichte betont er übrigens
sinngemäß, er halte es für besser, sich ganz unbelastet dem Kunstgenuß zu widmen,
statt sich mit gestelzten Worten und geschraubten Floskeln (hochtrabendes
Kunstgeschwätz") von dem ablenken zu lassen, was einem Kunstwerke zu geben
vermögen.
Man kann sich folglich ruhigen Gewissens auf Kunst einlassen, indem man bloß den Gesetzen
der Sinnlichkeit" folgt, also dem, was uns die Sinne über unsere Wahrnehmung
anbieten. (Gefällt mir, sagt mir was" oder gefällt mir nicht, sagt
mit gar nichts".) Dem stehen aber die Regeln der Kunst" gegenüber.
So findet man das zumindest bei einigen französischen Philosophen im 20. Jahrhundert
behandelt.
Da sind also zwei ganz verschiedene Kategorien im Spiel. Daraus folgt, es kann etwas
ein bedeutendes Kunstwerk sein, obwohl es mir zutiefst mißfällt oder mir unerheblich
erscheint. Die Gesetzen der Sinnlichkeit" müssen nämlich keineswegs
die Regeln der Kunst" bedienen und umgekehrt. Der österreichische
Künstler Franz West hat bei einer Arbeit wohl augenzwinkernd angemerkt: Monsignore
Otto Mauer, Begründer der Galerie Nächst St. Stephan, erste und damals einzige Galerie
für zeitgenössische Kunst in Wien: 'Kunst ist das, was einer, der von Kunst Ahnung hat,
für Kunst hält.'"
Etwas von Kunst verstehen"? Das handelt von ästhetischen Erfahrungen
und davon, mit den Regeln der Kunst" vertraut zu sein. Ansichten und
Einschätzungen, die sich, wie schon erwähnt, laufend ändern. Diese Dynamik hat
innerhalb des 20. Jahrhunderts ein verwirrendes Tempo erreicht. Die Kunsttheoretikerin
Catherine Millet meinte dazu, im Bereich der Kunst sei über die 1970er (Überbewertung
der 'Ismen'") und 1980er (Aufblühen der 'Neo'-Stile") ein
Phänomen aufgetaucht, das dem von Paul Virilio im Bereich der Kommunikation
festgestellten vergleichbar war. Eine intensive Beschleunigung zeitigt Stillstand."
In seinem Essay Rasender Stillstand" schreibt Virilio über die Revolution
des Transports-auf-der-Stelle" und welche Konsequenzen es haben mag, die
'Denkexperimente' der Forscher durch 'Computerexperimente' zu ersetzen". Ein
kleiner Querverweis darauf, daß wir heute gefordert sind, mit radikalen
Veränderungsschüben zurecht zu kommen (elektronische Revolution",
Computerzeitalter", Informationsgesellschaft").