log #154: slow motion

Beim "1. LEADER Kultur – Vernetzungstreffen" [link] hatte ich mit Regionalmanager Wolfgang Berger eine interessante Erörterung. Was denn der zeitgenössichen Kunst heute für die Praxis zuzurechnen sei, wenn die Avantgarde und die Moderne schon so weit zurücklägen. Deshalb zuerst ein paar Worte zu den möglichen Grundlagen solcher Erörterungen.

log154a.jpg (25816 Byte)

Wir waren uns einig, daß in der regionalen Praxis ein Zugang nötig ist, wie er auch generell für die Kulturpolitik nahe liegt. Es sind ja stets die Ressourcen und Zeitspannen begrenzt.

Also sollte es Entscheidungen geben, in welchem Zeitraum welcher künstlerische und thematische Schwerpunkt in einer Region Vorrang hat. Dazu sollte es Verständigung über einschließende und ausschließende Kriterien in einem zeitlich begrenzten Vorhaben geben.

Aber was ist nun Gegenwartskunst? Auch darin kann es nur ganz unterschiedliche Ausrichtungen für den jeweiligen Fokus geben, denn das Gebiet ist ZU groß, um es jederzeit GESAMT meinen und bearbeiten zu wollen.

Also:
Themenschwerpunkte, ein- und ausschließende Kriterien, Transparenz und die Kommunikation der Zeitschemata nach außen.

Aber die Kunst!
Und was darf dazu gezählt werden? Wie angedeutet, es läßt sich unmöglich in wenigen Sätzen abhandeln. Doch über bevorzugte TENDENZEN kann sehr schnell Klarheit entstehen, auch wenn man sich nicht zu den "Experten" zählen will.

Zum Beispiel die
+) Tendenzfrage "Ästhetik und Anästhesie"
(Soll das Kunstgeschehen eher wacher Wahrnehmung oder eher betäubenden Optionen gewidmet sein? Siehe dazu auch Krusches Log #1406!)

Oder die
+) Tendenzfrage "Gesetze der Sinnlichkeit und Regeln der Kunst"
(Soll beim Vorhaben nur vor allem gelten "gefällt mir/gefällt mir nicht" oder ist auch der Stand der Debatten im internationalen Kunstgeschehen etwas, worauf man sich beziehen möchte?)

In KEINEM solcher Punkte plädiere ich für ein "Entweder-Oder", daher schließe ich auch keinen der genannten Pole aus. Wer befugt und beauftragt ist, hier Programm- Entscheidungen zu fällen, mag die Art der Mischung/Balance bei solchen Tendenzen für sich klären und seinem Klientel mitteilen. Das dürfte die sicherste, vermutlich auch redlichste Position in einer lebendigen Regionalentwicklung sein.

Von solchen "Grundklärungen" aus lassen sich individuell recht leicht weitere Klärungsschritte finden, um die Frage(n) nach der Gegenwartskunst voran zu bringen.

Berger sprach dann noch ein brisantes Thema an, das oft gerne nur im Vorbeigehen abgehandelt wird. Die ANGEBLICHE Konfrontation "Volkskultur versus Kunstkultur".

Dabei werden dann gelegentlich Beispiele strapaziert, die mit VolksKULTUR defintiv extrem wenig zu tun haben, wofür Berger das Beispiel anführte, es könnten einem ja auch Vorhaben mit Formationen wie "Die Stoakogler" angedient werden.

"Die Stoakogler" [link] gelten als sher populäre (nationale) Stars im Bereich der "volkstümlichen Musik". Das ist freilich eher eine Angelegenheit der Alltagsbewältigung als eine der Kultur.

Ihre Musik ist ohne jede Raffinesse. Ihre Texte geben bloß Stereotypen wieder. Ich habe gegenüber diesem Geschäft keine rasend wichtigen Einwände, bleibe aber mit Kopfschütteln vor dem dümmlichen Menschenbild, das in Showprogrammen dieser Art zelebriert wird.

Das ist in Wahrheit keine "Referenz an die Massen", sondern ihre kommerzielle Verhöhnung.

log154b.jpg (14478 Byte)

(Foto: "Presse & Veranstalter")

Daran ändert nichts, daß die Republik dieses Beispiel angewandter Anästhesie durchaus für Ehrungen vorsieht:

>>Als Drei- und später Vier-Mann-Combo erdudelten sie sich mit Megahits wie "Steirermen san very good" oder "Die Stoanis san do" Ruhm, Ehre, Lebensversicherung und das Große Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich.<< [Quelle: Krone]

Es erscheint mir völlig ausgeschlossen, mit solchen Aufführungen in einer Debatte über Gegenwartskunst auch nur einen Meter weit zu kommen. Das Reproduzieren und Vermarkten von Stereotypen auf einem derart simplen musikalischen Niveau könnte nicht einmal im Vergleich zu all dem standhalten, was uns als traditionelle Volksmusik überliefert ist.

Dort, bei der VOLKSMUSIK, finde ich nämlich mehr als reichlich das, was ich mir von Musikanten erwarten darf: Virtuosität, Raffinesse, geistreiches Erzählen, Witz, anregende Arten, sich mit dem Leben der Menschen zu befassen ... statt Phrasendreschen und Schenkelklopfen. Nicht umsonst haben sich immer wieder große Komponisten wie Bela Bartok, Brahms und andere von der Volksmusik inspirieren lassen.

Wollten nun die "Stoanis" zwischen den Polen "Ästhetik" und "Anästhesie" Aufstellung nehmen, habe ich keinerlei Zweifel, in welcher Hälfte wir sie finden würden. Als Beispiel ein Zitat aus einem ihrer größten Hits:

>>Es gibt in Zell am Ziller so fesche Ladykiller, / die glaub'n, nur in Tirol fühl'n sich die Damen wohl. / Da frog' i mi: Was will er, der Kerl aus Zell am Ziller? / Wenn oane erst an Steirer siagt, de woaß, auf wen sie fliagt.<<

Solche Perlen der Lebensfreude stammen von Leuten wie Hanneliese Kreissl-Wurth [link] und ähnlichen Glücksbringern.

[slow motion: übersicht]


coreresethome
27•09