Log #105Bewegte Tage,
tägliche Bewegungen; im Gefüge des oststeirischen Kulturgeschehens ist eine wohltuende
Unruhe entstanden, in der sich eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Ereignislinien
abzeichnet. Die Ausstellung mit den Arbeiten kosovarischer Künstler [link] ist zu einem
Angelpunkt einiger Debatten geworden.
Auf diesem Foto sieht man von links den Maler Hannes Schwarz,
Museums-Kustodin Sigrid Meister, Elfriede Schwarz und im Hintergrund Künstlerin Angelika
Haas. In einer anschließenden Erörterung waren wir einmal mehr bei Fragen nach
Professionalität angelangt, denn Hannes ist unverrückbar der Ansicht, man habe sich um
höchste Qualität zu bemühen. Dazu ist allein schon Erwerb und Sicherung der
handwerklichen Grundlagen sehr zeitaufwendig.
Elfriede betonte allerdings: Ich geb mich mit Virtuosität allein nicht
zufrieden. Technik ohne Aussage und ohne geistigen Hintergrund, das wäre für mich
wertlos. Womit der Fokus auf den Erzählungen läge. Was erfährt man
selbst und bietet man anderen an, wenn man sich künstlerischer Praxis widmet?
Das sind auch Rahmenfragen dieser beiden Frauen. Links Mirjana Selakov,
leitende Kuratorin des Medienkunstlabor im Grazer Kunsthaus,
rechts Annabella Dietz, hauptberuflich Juristin, doch mit einem außergewöhnlichen Erbe
versehen. Sie ist Eigentümerin des Schloß Hainfeld (südlich von Feldbach), einst
Wohnsitz des Orientalisten Joseph von Hammer-Purgstall.
Wir haben uns über aktuelle Orientierungspunkte verständigt, denn da bündelt sich ja
ein überaus brisantes Themenspektrum: Die Kunst, die Wissenschaft und
die Geschichtsschreibung in ihren Konsequenzen, angewandt auf ein Kräftespiel
von Nord- Süd-Situationen, die in allgemeiner Wahrnehmung vor allem als
Ost-West- Problemlagen wahrgenommen werden. Und das in einem
Koordinatensystem realer Orte, die heute überwiegend dem zugeschrieben
werden, was man sich unter Provinz vorstellt.
Solche Aspekte verschmolzen auch an jenem Abend im Gleisdorfer Rathaus, übrigens
unmittelbar nach dem Ausstellungsbesuch mit dem Ehepaar Schwarz, da eine Ordensfrau von
ihrer Arbeit im Kosovo erzählte. Schwester Johanna beleuchtete damit die größeren
Zusammenhänge, in denen jene Werke entstanden sind, die momentan noch im Museum im
Rathaus gezeigt werden.
Es ist, genau betrachtet, eine unbeschreibliche Verwüstung der Lebensbedingungen und
der Seelen, die sich nicht erst in diesem Sezessionskrieg Jugoslawiens angebahnt hat. Das
Beklemmende daran erreicht uns vor allem auch dadurch, daß diese Eruption der
Unmenschlichkeit, von welcher die Region erschüttert wurde, keineswegs bloß
interne Ursachen hat, sondern auch und gar nicht unwesentlich in den
Interessen und interessengeleiteten Aktionen eines Westens begründet liegt,
der hier eine geopolitische Begradigung zu seine eigenen Gunsten forciert hat.
Was das mit Fragen der Kunst und Kultur zu tun hat? Was das mit uns, vor allem hier vor
Ort (in der Oststeiermark) zu tun hat? Es gibt keine Geschichte Europas, also auch keine
Kultur Europas, ohne diese Gesamtschau auf die Fundamente, Verläufe,
Kräftespiele, Konsequenzen. Es gibt uns mit unserer Kultur nicht ohne eine Ahnung von
diesen großen, nein: groß angelegten Vorhaben von nationalen und transnationalen
Instanzen. Denn all das ist ganz wesentlich von Ideologie begleitet, auch initiiert, oft
um wirtschaftliche Gründe zu verhüllen. Und das sind kulturelle Themenstellungen.
Das hat eben einerseits solche Dimensionen gesamteuropäischer Reichweite, andrerseits
auch ganz lokale Bezugspunkte in den überschaubaren Phänomenen individueller
Initiativen.
So hatte ich kürzlich ein Plauderstündchen mit Barbara Lukas, einer lokalen
Unternehmerin, die mitten in der Stadt einen Raum der Kunst gewidmet hat. Den
Einraum, eine kleine Galerie, für die nun in das nächste Jahr hinein schon
ein wachsendes Programm besteht. (Oben Barbara Lukas mit dem Maler Reinhard Damm.)
So zeigen allein die auf dieser Page angeführten Episoden sehr deutlich, wie
unterschiedlich jene Basen sein können und sein müssen, auf denen jene Entwicklungen
beruhen, die letztlich ein reges geistiges Klima stärken, sichern, ermöglichen. Dazu ist
mir übrigens gerade ein einstiger Weggefährte aus früheren Geschichten [link] wieder aufgetaucht. Der
aus Süditalien stammende Vito Pace scheint sich gerade hoch in den Norden bewegt zu
haben. Nun bereiten wir eine kleine Verzweigung nach Gleisdorf vor: "svenska landskap"
Das sind in Summe jene Ereignisse und Ereignisstränge, die für dieses Feld die
Behauptung rechtfertigen: Provinz war gestern!