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Wo ist die Kunst?
(Eine Polemik)
Von Martin Krusche

Das Bezeichnende ist nicht das Bezeichnete. Das Benennende ist nicht das Benannte. Unser Geist stellt die Verbindung zwischen beidem her.

Der Philosoph Erwin Fiala hat in seinem Vortrag „Was sind Medien?“ ein Beispiel aus dem Alltag aufgegriffen, um deutlich zu machen, daß Medien nicht durch ihr „Sosein“ definiert werden, sondern durch ihre Funktionen von Beziehungen. Erst in bestimmten Relationsgeflechten wird etwas zum Medium. Wie etwa die Verkehrsampel. Nur wenn man ihre Funktion kennt, ist es eine Ampel. Sonst ist es bloß ein Ding, das nicht einmal als Lampe identifiziert werden könnte, wenn einem diesbezügliche Zusammenhänge fremd wären.

Medialität besteht also nur zwischen Phänomenen.
+) Zusammenhang
+) Bedeutung

Was könnte man von Kunst erzählen, wenn man von Bedeutungen und Zusammenhängen nichts wüßte? In einer Ecke der Geschichte ist Kunst das, was etablierte Deutungseliten manchen Gegenständen und Prozessen zuschreiben. So gesehen ist Kunst Bedeutung, Artefakte und Vorgänge, aber auch Ideen werden mit solchen Bedeutungen verknüpft.

Ein künstlerisches Werk ergibt sich demnach aus künstlerischer Praxis plus Bedeutungszuweisung.

Diesseits formeller Ausbildungsstätten und diesseits der Weihe durch Feuilleton und Kanon führt Selbstermächtigung in den Zustand der Kunstschaffenden. (Zurufe von außen sind dabei völlig nachrangig.)

Es gab vor etwa einem Jahr in Wien den Fall, daß eine Skizze aufgetaucht ist, die Klimt zugeschrieben wurde. In der Frage, ob das Werk authentisch sei oder bloß eine Kopie, kam es schließlich auf die Fachmeinung eines ausgewiesenen Experten an. Der Marktwert des Blattes sollte demnach eine bestimmte, gar nicht so geringe Summe betragen, falls es keine Arbeit von Klimt wäre, und (wenn ich mich recht erinnere) gut das Hundertfache davon, wenn es sich Klimt zuschreiben ließe.

Daran finde ich folgendes interessant: Das Blatt ist das Blatt, ganz egal, welche Bedeutung ihm der Experte zumißt. Da Klimt zur Sache nicht befragt werden kann, bleibt nur die Ausübung von Definitionsmacht einer einzelnen Person, um den Rang der Arbeit festzulegen. Dieser Rang wird folglich auch über einen bestimmten Geldbetrag kommuniziert. (Genau! Geld ist ein Medium!)

In diesem Abschnitt der Befassung mit einem bestimmten Bild dominieren also zwei Aspekte:
+) Bedeutungszuweisung
+) der Markt

Das klingt nicht sehr freundlich. Was soll den Kunst mit solchen Kategorien zu schaffen haben? Nämlich:
+) Geld
+) Definitionsmacht

Das ist bloß unklar, so lange man über die Dinge eben schlampig spricht. Kunst ist für mich eine Kategorie der Transzendenz, ist sinnlich nicht erfahrbar, so gesehen also am ehesten ein Glaubensgegenstand. Aber
+) Kunstschaffende,
+) Kunstwerke,
+) künstlerische Praxis und ihre Bedingungen
sind Aspekte diesseits der Transzendenz, sind daher Gegenstand von Erörterungen, Betrachtungen, Kontroversen und Konsensfindungen, bei denen
+) Geld und
+) Definitionsmacht
durchaus akzeptable Rollen spielen. Zwei Rollen eines größeren Ensembles in der Auseinandersetzung mit solchen Fragen.

Mirjana Selakov hat in ihrem Vortrag „Von der Objekt- zur Konzeptkunst, vom Werk zum Prozeß“ folgende Conclusio vorgelegt: „Der Mensch ist der Ort der Bilder.“ Darin klingt an, daß es gewissermaßen außerhalb des Menschen keine Bilder gebe. Das korrespondiert mit Fialas Ansicht, der in seinem Vortrag auf Derrida verwiesen hat: „Das System der Zeichen hat kein Draußen.“ Das gelte auch für Medien, hat Fiala betont.

Ich schraub das für einen Moment brutal auf simpel herunter: Außerhalb meines Verständnisses gibt es kein Verstehen. Was ich nicht lesen kann, läßt mich blind.

Noch einmal Selakov: „Der Mensch ist der Ort der Bilder.“ Sie ist von ihrem orthodoxen Hintergrund geprägt, dessen [Bild-] Traditionen über etliche Jahrhunderte sich mit weströmischen deckten, aber schließlich an eine ganz fundamentale Weggabelung kamen.

Während die „weströmische Nutzung“ von Bildern konkreten Darstellungen gewidmet wurde, waren oströmische Ikonen nach wie vor eine Art Platzhalter. Nicht der Mensch blickt auf das Bild oder quasi wie durch ein Fenster, eben durch das Bild, in die Welt, sondern „etwas“, genauer: etwas Göttliches, blickt/scheint durch die Ikone auf den Menschen.

Wo ist in all dem jetzt die Kunst?

Nun zu Lidls Haus. Es war einst das Pfarrschulhaus. Das bedeutet: Ein Ort der Wissensvermittlung und der Vermittlung grundlegender Kulturtechniken. Es ist 1647 errichtet worden, die Adresse Franz Blodergasse 4 verweist auf den Pfarrschullehrer Franz Bloder, der da ab 1852 unterrichtete.

Literarität, die Fähigkeit, Texte zu lesen und zu verstehen, ist auch für die Verwendung der sogenannten „Neuen Medien“ eine unverzichtbare Grundlage. Lesen, also entziffern und verstehen, also mit Bedeutungen verknüpfen. Fiala hatte in seinem Vortrag gesagt: „Information ist nicht Wissen.“

Die Kunst ist in den menschlichen Bedeutungszuweisungen geborgen. In kreativen Prozessen, im Herstellen von Artefakten und im Zuweisen von Bedeutungen entsteht das, was wir Kunst nennen. Ich habe auf dem ersten Blatt geschrieben: Das Benennende ist nicht das Benannte.

Die Annahme wird von einem Werk aufgebrochen: dem Text. Der Text ist das, was die Zeichen zeigen und das, wovon sie erzählen. Ich liebe diese Doppeldeutigkeit in meiner Profession. Man könnte getrost den Inhalt DIESES Textes vergessen. Ich werde dieses Büchlein zu einem kleinen Ziegel verwandeln, diesen an Peter Lidl übergeben, auf daß er diesen Ziegel in das genannte Haus einfügt.

Damit passiert folgendes: Mein Denkakt wurde handschriftlich codifiziert, wurde zum Text. Noch ist die Kette leiblicher Bezüge ungebrochen. Das Büchlein wird digitalisiert, um Evidenz herzustellen, welches Konzept in das Haus eingeht, und zwar physisch eingeht, um dieses Haus temporär zu einem, nämlich meinem Werk zu machen – für ganz bestimmte Stunden, in der eine bestimmte Inszenierung an diesem Ort stattfindet.

Das verzweigt den Vorfall auf symbolischer Ebene in die überlieferte Vergangenheit (Pfarrschulhaus) und in eine erst zu beschreibende Zukunft (der Kulturraum), verknüpft rituell die Virtualität und die Aktualität -- und zwar über einen Zusammenhang, der die Stadt Gleisdorf übersteigt, der mindestens Europa meint.

Veronica Kaup Hasler eröffnete das Festival „steirischer herbst“ mit einer Rede, aus der ich die folgende Passage hierher übernommen habe, denn ...:
„NAHE GENUG: das ist ein Sehnsuchtsort, wenn er entfernt ist – und ein Zuviel, wenn er erreicht ist. So ist es in der Liebe, in Freundschaften, familiären Strukturen und anderen konkreten sozialen Gefügen des Alltags.
So ist es auch auf dem etwas weiter gefassten Feld der Politik. Wer Abkommen, Gesetze oder gar Verfassungen macht, befindet sich in permanenten Statusverhandlungen. Dieser Status wird im Spannungsfeld von Nähe und Distanz verhandelt, indem Übereinstimmungen und Differenzen, Rechte und Pflichten, Grenzziehungen und Grenzöffnungen diskutiert werden.
Wie eng ist Europa tatsächlich aneinander gerückt?
Welchen Status soll die Türkei im Verhältnis zur jetzigen Europäischen Union erhalten?
Wie nah ist Afrika? Vom spanischen Festland trennen uns nur 14 Kilometer. Doch auf beiden Seiten der Straße von Gibraltar werden fast täglich ertrunkene Flüchtlinge an den Strand gespült.
Und so ist – um ein aktuelles Beispiel aus Österreich zu nennen – auch bei uns eine aufgeheizte und undifferenzierte Diskussion zum Thema Islam und Integration im Gange.
Ich frage mich: Inwieweit ist dies nicht auch Ergebnis eines falschen Identitätsbewusstseins und einer fehlender Unterscheidungsfähigkeit, wie wir Nähe und Ferne zu anderen Kulturen bestimmen?
Sind wir uns der eigenen Werte bereits so unsicher geworden, dass uns die gelebten Werte der anderen bedrohen?“


... denn egal, wie weit entfernt uns Menschen erscheinen, die von Menschen in Unglück gestürzt oder einem Unglück überlassen werden, wir haften alle.

Künstlerische Praxis ist nur eine von mehreren Möglichkeiten, zu den Debatten beizutragen, was die Dinge seien und wofür wir haften. Kunst hat ihren Bestand auch ohne derlei Funktionen oder Nützlichkeiten. Aber an diesem Tag, dem 29. September 07, erlaube ich mir, ein Gefüge herzustellen, das der Kunst tief verpflichtet ist.

Das geschieht materiell auf der Ebene dieses kleinen, gelb eingebundenen Büchleins; eine Geste, die auf einen anderen Moment verweist, wo ich in einem vergleichbaren Artefakt eine Stelle auf „meiner Strecke“ markiert habe ... denn dies alles geschieht auf einer Strecke quer durch die Oststeiermark, mit Verzweigungen zu anderen Orten, auch in andere Länder, wodurch eine kleine „Landkarte der Bedeutungen“ entsteht.

Nun wäre noch die angedeutete Referenz offenzulegen. Es ging dabei um Sophokles, dessen „König Oidipus“ vor allem anderen ein großes Werk über die Liebe ist, denn selbstverständlich hat der erwachsene Oidipus nicht seine Mutter geliebt, als er Iokaste heiratete, sondern eine reife Frau, mit der er ein wunderbares Leben hatte.

Das furchtbare Unglück, das über beide hereingebrochen ist, wurzelt vor allem in der Lieblosigkeit und Arroganz seines Vaters Laios, während Oidipus und Iokaste mit Antigone einer mutigen und liebenden Frau ins Leben geholfen haben. Aber davon wäre in einem anderen Zusammenhang weiter zu erzählen.

Zurück zu diesem Büchlein, dem Träger des Codes, der physisch ausgelöscht wird. Davon bleibt nur eine binär codierte Evidenz, eine Serie von Scans. Das bedeutet, Fialas Ausführungen folgend: Mit der Digitalisierung ist die Verbindung zu physischen Welt durchbrochen.

Digitalisierung ist eine Übersetzung in einen Binärcode, also in ein System, dessen Informationsbasis aus nur zwei Informationsarten besteht: 0 und 1. Zwei Zahlen. Fiala: „Die Regeln dazwischen sind das, was wir als Code bezeichnen.“ [Die Regeln zwischen den Zahlen.]

Noch einmal der selbe Verweis auf Derrida: „Das System der Zeichen hat kein Draußen.“ Wie der Binärcode gewissermaßen kein „Drinnen“ hat. Aber auch das ist eine andere Geschichte.

22.09.2007


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