next code: divan / note  #7

Das westliche Europa hat eine lange Reihe von "Kopftuch-Debatten" absolviert. Ich kann mich aber nicht erinnern, daß konservative, religiös wohl eher weströmisch orientierte Frauen aus der Oststeiermark je Ziel solcher Debatten gewesen wären.

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Angesichts braver Steirerinnen, wie man hier eine im Zentrum Gleisdorfs sehen kann, fallen auch keinerlei Debatten darüber auf, ob ein Kopftuch Ausdruck einer bestimmte Gesinnung sei. Ab und zu läuft einem in Gleisdorf eine durch ihre Kleidung als Muslima erkennbare Frau über den Weg. Das wär's ...

In der Türkei ist gerade das Verbot des Kopftuchtragens an den Universitäten gefallen. Das hat eine Vorgeschichte im einstigen Bestreben der Türkei, über Dress-Codes "Modernität" zu generieren.

Kemal Atatürk hatte unter anderem im Zuge der türkischen Staatsgründung das Tragen einer prägnanten Kopfbedeckung verboten. Der Fes wurde als Ausdruck von Rückständigkeit betrachtet. (Dieser konische Hut ohne Krempe ist uns heute vor allem in Spielfilmen präsent und ziert eine österreichische Kaffeemarke.)

Ich war sehr verblüfft, als ich gelegentlich einen Fes mit den Zeichen der SS zu sehen bekam. Ein bescheidener Hinweis, wie verwickelt und verwuzelt die "Ost-West-Verhältnisse" gelegentlich sind.

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Ich werde demnächst etwas mehr über diese historische Kuriosität erzählen. Das kommt dann in einer Leiste von "next code: divan" vor, die sich auf ein Zitat aus dem Petrowitsch-Text bezieht, der diesem Projektabschnitt zugrunde liegt:

"Steinerne Verhältnisse zum Tanzen bringen"

Aber! Köpfe! Kopftücher. Mir fehlen bisher noch aufschlußreiche (öffentliche!) Debatten, was es über uns selbst aussagen mag, wenn man sich hier an einem Detail ungewohnter Dress-Codes muslimischer Kulturen so heftig stößt, wobei mir nicht auffällt, daß manifeste Fragwürdigkeiten an unseren eigenen Dress-Codes auch nur annähernd so heftig debattiert würden.

Einschub:
Darf ich gelegentlich fragen, was eigentlich eine Krawatte genau ausdrückt und wofür sie ideologisch stehen mag? Müssen wir uns womöglich über ideologische Symbole den Kopf zerbrechen? Falls uns etwa auffällt, daß Herren, die allein in den letzten Jahren Milliarden an Euro versenkt, verschoben, veruntreut, und so mehrere Republiken schwer beraubt haben, durch die Bank Krawatten tragen?

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Zurück zum Kopftuch. Wie sehr der Hijab vor allem auch Gegenstand modischer Themenstellungen ist, kann man sich zum Beispiel online im "Hijab-Shop" genauer ansehen:

>>Alhamdulillah TheHijabShop.com is the first to launch the latest hijab innovations direct from Jordan. Designed and produced in Jordan by Aroub Hijab Co, we are currently selling 4 designs: Asma, Al-Aroub, Lubna and Al-Hour.<<

Wenig überraschend, daß es da für alle Lebenslagen passende Angebote gibt, diverse Sportarten und Freizeitvergnügen einbezogen:

>>These stylish and non-fussy hijabs will ensure that Muslim girls are able to comfortably and safely participate in sports and physical activities without having to worry about their hijabs shifting and tearing apart.<<

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Die luxuriösen Hijab-Nadeln im Swarovski-Design sind übrigens gerade ausverkauft. (Man wird freilich ein Modell "Hijab Pin Fiona" vergeblich suchen.) Die "Flüsse der Einflüsse" haben sich zwischen Ost und West selbstverständlich noch viel feiner verzweigt.

note07f.jpg (17970 Byte) Barbie's muslimische Cousine ist in einem einschlägigen Spielzeugladen preiswert zu haben:

>>Fulla Muslim Fashion Doll. A must for every little Muslim girl. Comes complete with cotton like hijab and abaya with additional comb and indoor clothes outfit. 11 inches tall like Barbie, and has long black hair and big blue eyes.<<

Auf eine ganz andere Sache hat mich Graphic Novelist Jörg Vogeltanz hingewiesen.

Der "Digital Quran Pen" mit 30 Suren [Quelle] "... actually has a hidden talent, for not only can it write, but it also recites the Holy Qur’an – making it easy for you to listen to Surahs no matter when and where you are."

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Eine in unseren Breiten sicher ungewöhnliche Medienanwendung. Wenn ich etwa meinen Teenager-Sohn praktisch nie anders als nur mit aus den Ohren hängenden Kabeln sehe, über die er von seinem MP3-Player vermutlich sogar noch im Schlaf lyrische Stoffe von ziemlich düster aussehenden Leuten empfängt, dann überrascht mich dieser mutmaßlich schreibende MP3-Player ganz und gar nicht.

Die Sache hat noch einen anderen, sehr interessanten Aspekt. Balladen und ähnliche formal strenge Formen dieser Art hatten die Funktion, das Merken zu erleichtern. Platon läßt Sokrates im "Phaidros" beklagen, was den Menschen widerfahren werde, wenn sie das Merken verlernen und die Dinge aufschreiben. Das Memorieren ist also eine historische wichtige Form, Wissen zu sichern.

Ray Bradbury hat in seinem Roman "Fahrenheit 451" Menschen auftreten lassen, die ganze Bücher auswendig wissen und die Texte rezitieren können. In unseren Tagen ist das eine eher unübliche Kompetenz. Wir sind es längst gewohnt, Bücher für preiswert und verfügbar zu halten.

Im Islam gibt es den Begriff "Hafidh" oder "Hafiz", wodurch ein Mensch bezeichnet wird, der den Koran in arabischer Sprache auswendig kann. Wir haben in Europa schon lange angemessene Mnemotechniken verloren, um solche Aufgaben zu bewältigen. Die Fähigkeit, den Koran zu rezitieren, knüpft also an kulturelle Traditionen, auf denen unsere Kultur ruht.

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