Damit hab ich den vorigen
Eintrag enden lassen: Was mich gerade an eines der schönsten Lieder denken läßt,
das ich unter den „Sevdalinke“ kennen gelernt habe.
Ich bekam im vergangenen Jahr eine CD
geschenkt, auf welcher der schon verstorbene Safet Isovic zu hören ist. Meine beiden
herausragenden Favoriten in dieser Sammlung sind „Haj San Zaspala“ und „Moj
Dilbere“.
Ich war auf Anhieb von den musikalischen Qualitäten dieser Lieder umgehauen, hab erst
später Eindrücke gewonnen, welche poetische Qualität in diesen Texten liegt, in ihrer
verblüffenden Knappheit, die sich über etwas ganz anderes, eben die Musik und die
„Erzählweise“, dann weitet. |
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Bisher kenne ich nur rohe Übersetzungen dieser Lieder, denn wie es mit
der Poesie so ist, lassen sich Wort oft nicht einfach übersetzen, sondern es bedarf einer
umfassenden Erklärung, um die Bedeutung eines Wortes an bestimmter Stelle oder eines
Satzes zu verstehen. Was ganz unerbittlich klar macht, wie vieles einem bei Unkenntnis von
Sprache und Kultur fremd bleiben muß.
Ich werde gleich dazu kommen, diese Diskrepanz am Beispiel eines der Lieder erahnbar zu
machen. Wie bin ich nun darauf gekommen? Ich hab oben notiert, es wäre bei manchen
Vorhaben wichtig zu klären, welche Mittel wir anwenden möchten, um zu überprüfen,
wohin wir unterwegs sind, wo wir allenfalls ankommen. Dieses „Wohin“ war der Stein im
Wasser, in dessen Kreisen nun steht: „Moj dilbere, kud se šeæeš. Haj što i mene ne
povedeš.“
Das heißt etwa:
„Mein Geliebter, wohin spazierst du? Warum nimmst du mich nicht mit?“
Als ich mich im Web umgesehen hab, ob ich nähere Informationen über dieses Lied
finde, entdeckte ich einige junge Versionen von „Moj Dilbere“, darunter eine, die
Toše Proeski in Sarajevo gesungen hat, und die offenbar enorm populär ist, seit er bei
einem Autounfall ums Leben kam. [link]
Es wurde mir in diesem Zusammenhang erklärt, eine stehende Redensart habe im
vormaligen Jugoslawien den Reisenden empfohlen, in Serbien nicht zu tanzen und in Bosnien
nicht zu singen, weil es die Leute dort viel besser können, in Mazedonien aber besser
weder zu singen noch zu tanzen. (Proeski gilt als Mazedonier.)
Es gibt also, das steht ja außer Streit, in diesen und jenen Regionen signifikante
Eigenschaften, gute und schlechte, die sind gerade dort mitunter so deutlich ausgeprägt,
daß man sie einer Region als typisch zuschreibt. Das hilft sicher bei alltäglicher
Orientierung. Aber es kann und darf eben nicht einen unmittelbaren Blick auf die Menschen
verstellen oder ersetzen. Doch zurück zur etwas älteren und etwas komplexeren Version
von „Moj Dilbere“, die ich durch Safet Isovic kennengelernt habe.
Mir ist dazu im Web eine Art „Karaoke-Fassung“ untergekommen. Man hört das Lied und kann den Text
mitlesen. Daran ist sehr nützlich, daß man einen Eindruck gewinnt, was da geschieht; wie
nämlich die Geschichte auf der Ebene des Textes äußerst verknappt, verdichtet ist, eben
vorzügliche Lyrik ... zugleich kann man SEHEN, wie sich diese knappe lyrische Form zur
„Erzählweise“ des Vortrags verhält, wie also durch die musikalische Ebene sich etwas
viel Größeres über den Text wölbt.
Moj dilbere, kud se šeæeš.
Haj što i mene ne povedeš.
Povedi me u èaršiju.
Haj pa me prodaj bazadžiji.
Uzmi za me oku zlata.
Haj pa pozlati dvoru vrata.
[Eine rohe Übersetzung besagt etwa: "Mein Schöner, wohin spazierst du? Heh,
warum nimmst mich nicht mit? Nimm mich mit in die èaršija (Zentrum, Markt) und verkauf
mich an einen reichen Bazadzija (Verkäufer im Basar). Nimm für mich eine Oka
(Gewichtsangabe) Gold. Heh, vergolde dir damit das Gartentor."]
Wo war ich? Ja. Wohin soll es gehen? Mit welchen Mitteln wollen wir überprüfen, ob
wir auf Kurs sind? Und überhaupt: Auf welchem Kurs?
Bei der Präsentation der „Regionale 08“ in Feldbach hatte ich ein sehr anregendes
Gespräch mit Annemarie Liechtenstein, der Hausherrin der Riegersburg. Kommunikation. Dialog.
Über Grenzen und Kontraste hinweg. Wir trafen uns bei der exemplarischen Frage, wie es
denn wohl ein Kaufmann der Renaissance bei den damals bestehenden Reisewegen und
Kommunikationstechniken geschafft habe, ein weltweites Geschäft aufzuziehen und am Laufen
zu halten. Liechtenstein verblüffte mich mit folgender Antwort: „Es waren alle gleich
langsam.“ „Was?“ „Ja, keiner ist schneller gewesen.“
Diese Überlegung gibt einem allerhand zu denken, wenn man hoch zielt, wenn man aus der
Region heraus überlegt, etwas zu einem Dialog zwischen Orient und Okzident beizutragen.
Wie viel UNGLEICHZEITIGKEIT erträgt eine komplexe Situation, falls Dialog, genauer:
gelingende Kommunikation eine der Bedingungen ist?