next code: cruise / notiz #6 kunst O.ST und die kollektive
Kreativität
Von Mirjana Peitler-Selakov
Wahrnehmung,
Sprache und Produktivität können nur innerhalb des Kollektivs, gewiss nicht im
isolierten Subjekt, die Gestalt einer individualisierten Erfahrung annehmen.
Paolo Virno
Entfernt man sich von der Vorstellung, nach welcher
ein Kollektiv als ein homogener Körper verstanden wird, in dem Einzelne unwiderruflich in
eine anonyme Masse eingebracht werden, dann entfaltet sich kollektive Kreativität als ein
Feld aufregender, kreativer Interaktionen und vielseitig ausgerichteter, aber auch nicht
vorhersehbarer Gruppendynamik. In der kollektiven und gruppenbestimmten Arbeitsweise, in
ihrer Bezugnahme aufeinander und auf die Welt, ereignen verschiedenste Überlappungen und
Überschneidungen.
In der Initiative kunst O.ST geht es
nicht darum, die kollektive künstlerische Kreativität im Sinne der Erzeugung eines
autonomen Objekts zu nützen. Es geht darum, geistige Felder zu schaffen,
Mikrokosmen, die nach einem selbsttätigen System der Regelungen
selbstverwaltet sind.
Auf solche Art durch kollektive Anstrengungen
geschaffene physische, aber auch symbolische, nämlich intellektuelle
Nebenfelder, gelten dem Bemühen um den Aufbau eines offenen, freien Raumes.
Es geht um das Generieren einer Spiel- und Gestaltungsbühne, welche allen, die in diesem
Sinne agieren, einen Platz bietet. Zugleich ist diese Bühne auch ein Raum für
Diskussionen, Kritik und Auseinandersetzungen.
Die aktuelle Gruppe von kunst O.ST
erscheint dadurch speziell, dass das endgültige Erscheinungsbild der kollektiven Arbeit
eigentlich ohne Bedeutung ist. Die Initiative existiert nur als ein nie abgeschlossener
Prozess, in dem Kreativität als ein Nebeneffekt der emanzipatorischen Kräfte eines
Kollektivs wirkt.
Eine Gruppe wie kunst O.ST ist durchaus
ein räumliches Phänomen. Die räumliche Strategie der gruppenkünstlerischen Produktion
ist immanent. Sie impliziert eine räumliche (auch regionale) Begrenzung, bei der es aber
nicht immer um physischen Raum und um die Entwicklung von Raummetaphern geht. Die
räumlichen Strategien einer Gruppe können verschiedene Handlungsbereiche haben. Zum
Beispiel den physischen Raum der Stadt, in dem wir zu leben verurteilt sind.
Oder die geopolitischen Raumkonstruktionen mit ihrer oft irreführenden, weil nur
vermuteten Homogenität. Oder die Mikropolitik des Raumes von Gemeinwesen. Bis hin zu
einem Raum physischer, historischer und ideologischer Sichtbarkeit und (oder) Ausgrenzung.
Die Produktion von Raum ist eine Ausübung von Rechten, die gegebenen
Raumverhältnisse in einer bestimmten Weise umzugestalten und den Raum von einem reinen
Handlungsrahmen in relative und relationale Aspekte des Soziallebens zu überführen.
Wenn auch der Kontext der Ausstellung
pomale durch Überschneidungen diverser künstlerischer Strategien und
Perspektiven, durch einige Parallelen und auch Divergenzen, verschiedene
Räumlichkeiten definiert, so unternimmt die Ausstellung selbst nicht den
Versuch, eine homogene und abgeschlossene Entwicklungsgeschichte kollektiver
künstlerischer Kreativität darzustellen. Vielmehr bietet sie eine bestimmte
kollektiv-subjektive Vision, welche die einzelnen Gruppenpositionen als
Referenzpunkte umfasst und operative Methoden oder Strategien darstellt, die in diversen
Formen und künstlerischen Sprachen die künstlerische Gegenwart der Oststeiermark
abbildet.
Warum die Ausstellung(-en)?
Auch wenn der Prozess das Wesentliche von kunst O.ST ist, eine Ausstellung wie
pomale bleibt unverzichtbar. Die Gruppe bildet sich durch die Anstrengungen
zur Selbstrepräsentation heraus; mit all den Kämpfen und Verhandlungen, die dieser
Prozess, der für die Existenz von Kollektivität essenziell ist, beinhaltet.
Was ist next code: cruise?
Die Ausstellung next code: cruise präsentiert im Kleinen genau das, was die
einzigartigen Räume des Kollektiven so attraktiv machen kann. In einem Teilprojekt, das
in diese Ausstellung mündet, wurden zwischen sehr unterschiedlichen Kunstschaffenden die
Räume der Begegnungen, des Austausches und gegenseitigen Inspiration eröffnet.
Am Beginn stand nur ein Satz, von einem kleinen
Kind gesprochen. Hallo Fisch! Das sagte ein Kind in einem chinesischen
Restaurant zu einem Fisch in einem Aquarium. Ein poetischer Moment, der
notiert wurde.
Der Rest oder eigentlich: Das Ganze entwickelte sich
danach. Im cruising, also im nicht planmäßig vorgezeichneten
Kreuzen der Projektgruppe durch Themen und Ideen. Bilder, Figuren und
Geschichten sind entstanden. Manchmal waren aber die Bilder und Geschichten von anderen
Menschen das Ganze für sich. Und jene, die es sich trauten in dem Fall die
Cruiser , hatten Glück dabei: Ohne festen Plan am Anfang, ohne ein
bestimmtes Ziel oder einen strengen Rahmen, haben ihre kollektiven Erfahrungen in diese
Ausstellung gemündet.
Die kollektiven Erfahrungen im Projekt sind nicht
an einem gemeinsamen künstlerischen Werk orientiert. Die Kraft des
Gemeinsamen ist in der Möglichkeit, diverse Zugänge nebeneinander und
miteinander zu entwickeln. Nicht ein Ideal und ein Ziel wurden hier verfolgt, sondern
verschiedene Möglichkeiten, vielfach mit offenem Ausgang dargestellt.
Die Kritik an sozialpolitischen Verhältnissen im
Kunstbetrieb ist in keinem dieser Werke thematisiert. Sie hat sich in die Entwicklung von
alternativen Ideen transformiert. Das hat mit der Identifikation und nicht mit der
Identität zu tun. Deswegen ist dieses Projekt nicht subjektkonzentriert, sondern
kontextgebunden.
Es hat sich eine Gruppe gebildet, der es sinnvoll
erschienen ist, bestimmte Themen aufzugreifen. Diese Gruppe von fünf Kunstschaffenden hat
sich schnell und flexibel formiert. Das Kollektive hat sich hier vom Stil zu einer
Strategie gewandelt.
Zitat aus: Paolo Virno, A Grammar of
the Multitude. For an Analysis of Contemporary Forms of Life, L.A., Cambridge
Massachusetts 2004, S.79
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