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Das kurze 20. Jahrhundert
Von Martin Krusche

Hat sich nicht das kurze 20. Jahrhundert im wesentlichen zwischen zwei Brücken von Sarajevo abgespielt?" schreibt Dzevad Karahasan im Nachwort seines Buches „Berichte aus der dunklen Welt". Das bezieht sich auf die „Lateinerbrücke" (1914) und die „Vrbanjabrücke" (1992) sowie auf zwei historische Momente eines Zeitraumes, den Historiker Eric Hobsbawm als „Das Zeitalter der Extreme" beschrieb.

Das sind keine Aussagen über die südslawischen Nationen, sondern über Europa in seiner Gesamtheit, wobei gerade neu verhandelt wird, was genau mit dieser Gesamtheit eigentlich gemeint sei.

Wir Kinder dieser Epoche sind mit Codes aufgewachsen, in denen eine angebliche Notwendigkeit ethnischer Säuberungen erst in unzähligen Texten beschrieben und dann mit Waffengewalt realisiert wurde. Obwohl die davor liegenden Jahrhunderte unserer kulturellen Erfahrungen dieser ideologischen Mißgeburt (der hohen Priorität „ethnisch homogener" Gebiete) mehr als deutlich widersprechen.

Wenn sich nun – nach Auschwitz und Srebrenica – erneut die Vorstellung durchsetzen läßt, das Töten solle ein verläßliches Ende haben, sind doch die alten Codes, denen sich dieses Töten verdankt, nach wie vor in unserer Kultur dominant. Ein guter Grund, nach „next codes" zu fragen und zu suchen.

Wir haben nun über mehrere Jahre und mit drei markanten Stationen jenen Raum durchstreift, der sich mit einer Linie von Wien über Beograd nach Istanbul markieren läßt; auch „Nebenwegen" und manchen Abzweigungen folgend.

Menschen aus drei Generationen und aus noch mehr verschiedenen Kulturen haben dabei in künstlerischen Bereichen mit einander Erfahrungen gesammelt. Was wir in diesem Prozeß erlebt haben und was weiter führt, besagt: Die Vielfalt hat sich als Gewinn erwiesen, der Kontrast als nützlich, die Verschiedenheit erzeugt freilich auch manche Brüche und Differenzen.

Doch bei einem Leben in der „Kunst als sozialem System" (Luhmann) und im gemeinsamen Berühren mancher „Kernbereiche" („Die Kunst äußert sich in Kunstwerken") erweist sich unübersehbar und unmißverständlich: In der Kunst sind nationale und ethnische Grenzen völlig bedeutungslos. (Aber warum eigentlich bloß in der Kunst?)

Martin Krusche

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39•09