next code: break / notiz #11

Über die Autorisierung des Mordes
oder: Wer trägt die Verantwortung?
Von Mirjana Peitler Selakov

Eine der Grundfragen, welche im Urteil an Pelosi offen bleibt, ist die Frage, ob er allein war. Oder wurde er als Köder benutzt, als Komplize eines geplanten Mordes? Im Urteil des Gerichtes für Minderjährige wurde zusammengefasst, dass Pelosi ein Verbrechen begangen hat „mit der Hilfe von anderen nicht identifizierbaren Personeng. Diese Meinung war das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme, in welcher festgestellt wurde, dass der Junge keine körperlichen Verletzungen gehabt hat, obwohl er ausgesagt hat, von hinten attackiert worden zu sein und lange mit dem Opfer gekämpft zu haben. Seine Hände waren sauber wie seine Bekleidung, die aber erwartungsgemäß hätten mit Blut bespritzt sein sollen.

(Maria-Antoinetta Macciochi über den Prozess am Mord von Pier Paolo Pasolini, in „Pasolini: Murder of a Dissident" in „October: The first Decadeg, The MIT Press)

Eine der Bemerkungen zum Mord des berühmten italienischen Regisseurs, Dichters, Homosexuellen und ausgestoßenen Mitgliedes der KP Italiens, Pier PaoloPasolini, welche viele politische, sexuelle und ethische Fragen initiierte, wurde vom Schriftsteller Alberto Moravia ausgesprochen: „Pelosi und andere waren 'die Hand', welche Pasolini ermordet hat. Aber die, die diesen Mord autorisiert haben, waren viele, das war die ganze italienische Gesellschaft."

Pasolini hat einfach zu viele Gegner gehabt, angefangen bei Faschisten, bis zum moralischen Kommunisten, so dass sich in der italienischen Öffentlichkeit ein Konsens gebildet hatte, dass er es sich selber „ausgesucht" habe. So hätte er die Verantwortung für die eigene Ermordungs mit dem Mörder teilen bzw. diese komplett übernehmen müssen.

Im Fall Pasolini ist die Rede von einem politischen Mord, welcher zufällig von einem „Callboy", den Pasolini nach Hause gebracht hatte, begangen wurde. Es hätte auch ein anderer Täter sein können. In einem Essay über die paranoiden Räume des rassistischen und nationalistischen Bewusstseins erzählt Victor Burgin von einem Tötungsdelikt, das sich im amerikanischen Staat Maine ereignet hat.

Karen Wood, die gerade in diesen nordamerikanischen Staat gezogen war, wurde von einem lokalen Jäger ihrem eigenen Garten getötet, weil er sie für einen Hirsch gehalten hat. Es kam zu keinem Prozess und lokale Medien erklärten, dass die getötete Frau die örtlichen Regeln und den Alltag nicht wirklich gekannt habe, sonst wäre sie nicht in dunkler Bekleidung und weißen Handschuhen aus dem Haus gegangen. (In Victor Burgin, „Paranoiac Space" in L. Taylor, Visualizing Theory: Selected Essays from V.A.R., Routledge, NY-London, 1994, S. 230-241). So sind beide, Pasolini und Karen Wood, in einen gparanoischen Raumh der Gesellschaft eingebrochen, welcher ihre Tötungen als „natürlichen Verteidigungsmechanismusg verstehen läßt.

Die Frage der „Autorisierung des Mordes" betrübt das gewöhnliche Verständnis von Verbrechen, für welche der Täter als verantwortlich gilt; oder wer ihn unmittelbar bestellt hat, falls das in einem Prozess nachweisbar ist. Soweit die Sache, wenn von Individuen die Rede ist. Und wenn es um Kollektive geht?

In demokratischen Systemen ist die Gesellschaft nicht für die Regierung, welche sie gewählt hat, verantwortlich. Die Regierung ist aber vor der Gesellschaft für sich verantwortlich. Sie wird zur normativen „ethischen Institution" der Gesellschaft.

So war es auch in der „demokratischen" Weimarer Republik. Es hat sich herausgestellt, dass jene, die 1933 die Nationalsozialistische Partei gewählt haben, keine Verantwortung für die Politik mitzutragen haben, die später von Adolf Hitler betrieben wurde. In den staatlichen Angelegenheiten kennt man keinen kollektiven oder nationalen Vorbehalt.

Aus der offiziellen nationalen Perspektive Serbiens war der Krieg in Ex-Jugoslawien für das serbische Volk ein reines Unglück; vermutlich in erster Linie, weil das Land Serbien den Krieg verloren hat. Die Opfer wurden auf allen Seiten zugegeben, niemand, außer Kroatien, dessen offizielle nationale Perspektive den Krieg als „siegreich" darstellt, fühlt sich so, wie man es sich gewünscht haben mag, als in der 1980-er Jahren alles angefangen hat.

Als sich aber zwischen 1987 und 1990 die monolithische Apparatur für die Definition der nationalen und territorialen Ziele gefestigt hatte, waren wahrscheinlich sehr wenige Leute in der Lage, die eigene Imagination zu erkennen. Diese Zeit wird für immer als dunkler Fleck in der Geschichte der Region in unserem Gedächtnis bleiben; vor allem weil in die ganze Vorgeschichte dieser Eskalation zu viele Menschen involviert waren.

Die Ereignisse von 1991 waren vom Großteil der serbischen Bevölkerung „autorisiertg, auch seitens der bürgerlichen Schicht, die heute in viele Fraktionen zersplittert ist, von denen sich einige inzwischen nicht gern an ihre eigenen Ideen und Standpunkte von damals erinnern wollen.

Die Beziehung zu Krieg, Kriminalität oder Terrorismus wird gegenwärtig generell auf die Bemerkung reduziert, dass wir eigentlich in einer „sehr gefährliche Zeit" leben. Die Ursache und eventuelle Suche nach den Verantwortlichen wird dabei sekundär, weil wir dabei eben alle Opfern sind.

Was kann Kunst in solche Situation in einer Gesellschaft leisten?

Sie muss nicht unbedingt die Zusammenhänge klären. Kunst kann die Möglichkeiten der virtuellen Sprache nützen, sie kann die „fatale Mimesis" der Gegenwart sein, sie kann alle gesellschaftlichen und psychologischen Anomalien konzeptuell in ihre Welt aufnehmen. So wird die Kunst zum einer Kunst der Gefahr, als Gegenteil zu dem, was wir uns in der Gesellschaft wünschen: Die Politik der Sicherheit.

Peter Sloterdijk erklärt, dass die Kunst der Gefahr unsere Kreativität mobilisiert, die Welt nicht zu sehen wie sie ist, sondern diese Realität unseren Sinnen gegenüber zu stellen.

Nur so können wir verstehen „was in der Welt los istg. Bloß leben wir heute in einer viel zu schnellen und beschleunigten Welt mit viel zu vielen parallelen Prozessen, so dass keiner mehr einen Überblick über alle Bewegungen haben kann. Deshalb vermag, laut Sloterdijk, auch die Kreativität nicht mehr Grundbegriff einer ästhetischen Theorie sein, sonder das Beobachten.

Das Beobachten wird zum wichtigsten ästhetischen Begriff unserer Zeit. In diesem Sinne gibt die Ausstellung next code: break nicht ein Thema wieder, sondern sie versucht, das sinnliche Wahrnehmen zu eröffnen. Wie für ästhetische, so auch für soziale oder politische Tabus.

Triviale Medienereignisse führen zu Phänomenen wie diesem: Laut Statistik hat ein vierzehnjähriges Kind in den USA durch TV-Konsum im Durchschnitt schon 20.000 Morde gesehen. Heutzutage werden durch die populären Systeme der Repräsentation Themen wie Mord oder Sterben so oft visuell dargestellt, dass eigentlich das größte gesellschaftliche Tabu völlig trivialisiert und zum „ästhetischen Akt" wird. Das Sterben wird zur Darstellung und nicht mehr als Realität verstanden, welcher wir unsere Sinneserfahrungen gegenüberstellen.

Aber ein Mord ist nicht nur ein Ablauf, sondern ein Schnitt, ein nicht narrativ messbarer Moment, welcher die Anwesenheit von Abwesenheit trennt, was ihn wiederum visuell schwer darstellbar macht. Im Endeffekt kann ein abstraktes Bild oder eine Installation aus Alltagsobjekten auch zu diesem Thema passen, weil sie auch Schnitte sind, eine Membrane zwischen zwei Welten, Teil von beidem, aber beide eigentlich zugleich ausnimmt.

Die Werke in dieser Ausstellung zeigen uns die Möglichkeit, wie die Welt um uns beobachtet werden kann. Sie zeigen uns, wie zwei Künstler in ganz unterschiedlichen ästhetischen und formellen Zugängen Kunst aus einer passiven Zone des Komforts und Trostes herausholen können.

In beiden Fällen ist die virtuelle Welt der Kunst mit den Informationen aus der Realität ausgefüllt. Wie diese Informationen dann weiter „prozessiert" werden, ist vom künstlerischen Zugang abhängig.

Je weniger an Daten ein Kunstwerk auslässt, desto unangenehmer sind die Fragen, die es stellt („Komm zu mir").Wenn die Kunst aber die Realität reflektiert, macht sie das mit Hilfe der „speziellen Spiegel" (Brecht). Deshalb sind die Bilder, die uns in „161.Christiane F.09, Trauerarbeit für eine Putzfrau" begegnen, nicht vorsehbar und können nicht kontrolliert werden.

Mirjana Peitler-Selakov: Home


core | start | home
20•09