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Pur
(Über Legenden, Klarheiten und die Kunst)
Martin Krusche

Mit welchen Mitteln wird gesellschaftliche Realität konstruiert? Erinnerungen, Wahrheiten und Visionen scheinen sich in diesem Geschäft zu bewähren. Memory, Truth, Vision, abgekürzt: MTV, sind Konzepte, die solchen Geschäften zugrunde liegen. Das ist auch eine Angelegenheit der Kunstschaffenden.

Mein Weg in die Kunst ist von wenigen, sehr trivialen Motiven bestimmt gewesen. Das edelste darunter war die Liebe zur Poesie. Das stärkste darunter war meine Annahme, Poeten hätten bei den jungen Frauen die besten Aussichten auf gesteigertes Interesse.

In jenem Lebensabschnitt eines jungen Mannes, den man „Die Goldenen Jahre des hohen Testosteronspiegels“ nennen könnte, bleibt dieses Motiv dominant, ohne freilich später je ein Ablaufdatum zu bekommen. Seinerzeit mußte ich die ärgerliche Erfahrung machen, daß Musiker, vorzugsweise jene mit kräftiger Stimme und einem Geschick an elektrischen Gitarren, weit mehr Aufmerksamkeit bei den jungen Frauen erregten als die Poeten.

Aber, und das sieht man als junger Kerl nicht voraus, dreißig Jahre später kann ein unverbesserlicher Rock ‚n’ Roller bei einer erwachsenen Frau kaum noch Land gewinnen, wenn vor allem die Selbstverliebtheit, zu der Kunstschaffende gelegentlich neigen, den Mangel an so mancher anderen guten Eigenschaft noch hervorhebt. Dann kann ein Mann also bei Frauen mit den möglichen Qualitäten von Poeten eher Interesse wecken, als mit lauter Stimme und lauter Elektrogitarre.

Sie ahnen schon, was wir in der Kunst eigentlich tun, läßt sich so zusammenfassen: Wir erzählen die Welt immer wieder neu. Mit stets wiederkehrenden Legenden, Verklärungen, aber auch neuen Klarheiten.

Da das Repertoire an Rollenangeboten im Kunstbetrieb über Jahrhunderte von Männern bestimmt wurde, möchte ich kurz einige recht populäre Beispiele kunstbeflissener Selbstdarstellungen skizzieren. Da wären etwa der Künstler als Hofnarr, als Rebell, als Bohemien, als Nonkonformist. Lauter Heldengeschichten! Daneben verblaßt der Künstler als Professional und sonst nichts natürlich mangels glamouröser Auftrittsmöglichkeiten.

Der Künstler als Hofnarr, das ist eine etwas dümmliche Legende, denn die Hofnarren hatten einen grundlegend anderen Job als die Künstler. Außerdem sind mittelalterliche Gepflogenheiten für die Gegenwart wenig aufschlußreich. Aus der Zeit, da wir in Österreich noch einen Kaiser hatten, scheint mir das Amt eines höfischen Narren nicht überliefert zu sein. Vielleicht weil Franz Josef I. sich selbst ein großer Narr gewesen ist.

Die damals aufsteigende bügerliche Welt hatte ebenfalls keinen Bedarf an Narren, setzte statt dessen auf hochkarätige Künstler, war aber für die Schrullen von Bohemiens äußerst empfänglich. Doch wer heute damit rechnen wollte, daß junge Damen errötend in Ohnmacht fallen könnten, weil ein junger Kerl in schlecht sitzender Garderobe, mit einem kecken Hütchen auf dem Kopf, sich kraftvoll daneben benimmt, während er ausdauernd seine eigenen Gedicht rezitiert, dürfte von selbstbewußten Girlies der Gegenwart höchsten Gelächter ernten.

Als in den 1930ern ein weitgehend talentloser Kunstaspirant und arbeitsloser Herumtreiber, nämlich Adolf Hitler, sich aufschwang, um sich mit Cäsaren zu messen, wurde alles, was ihm närrisch erschien, mit mörderischer Konsequenz aus der Welt geschafft. Sein Diktatorenkollege Stalin stand ihm dabei keineswegs nach.

Was heute, in Zeiten, da alles möglich, vor allem aber nichts unmöglich erscheint, ein Nonkonformist sein soll, muß vorerst ein Rätsel bleiben, weshalb sich Kunstschaffende vielleicht besser anderen Geschäften widmen, als gängige Mediengrößen lokalen oder internationalen Formates im Fache der Exzentrik übertrumpfen zu wollen. Schriller als die Schiller oder erbärmlichr als Ozzie Osbourne, das sind keine diskurswürdigen Referenzgrößen.

Seit wir uns nun etwas lanfristiger in Demokratie üben, seit der Faschismus wieder an der Kette hängt, haben wir versucht, die Nachteile von Massengesellschaften kulturell zu mildern, was dem Streben Individualismus immer noch Schubkraft verleiht. Das Närrische steht den Kunstschaffenden dabei offen, um Normen und Konventionen stets neu zu überprüfen. Es braucht erfahrungsgemäß mutige Leute, um die gut eingeführten „gewissen Grenzen“ immer wieder zu überschreiten.

Die Kinder lehren uns, daß es keine radikalere Form des Forschens und Lernens gibt als das Spielen. Forschen und Lernen sind bewährte Anteile künstlerischer Praxis. Also müssen wir bei unserer Arbeit auf spielerischen Arbeitsformen bestehen. [...]

Textauszug! Der komplette Text als RTF-Datei.

Verfaßt für die Ausstellung „pur“
und da vorgetragen am 15. Juli 2008
als Kontrast zum Beitrag „gläserne sätze


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30•07