next code: input #21 Über das Projekt
(Input zu next code: love)
Mirjana Selakov
Mein Anliegen war es heuer, eine Ausstellung als Teil eines
mehrjährigen Kunstprojektes zu realisieren. Weil es sich hier um ein Projekt handelt, das
aus divergierenden, schließlich wieder zusammenfindenden Prozessen besteht, wurde mir
bald klar, dass die Ausstellung keine klassische Form haben kann. Das Geschehen vollzieht
sich in einer kleinen Stadt von etwa 5.000 Einwohnern, als deren Qualität sich zeigte,
dass die Gemeinde, lokale Politiker und Wirtschaftstreibende, große Bereitschaft zeigten,
dieses Projekt ganzjährig zu unterstützen. Dafür muss es auch eine angemessene
Darstellung der Ergebnisse, eine Ausstellung im gewohnten Sinne geben.
Diese Ausstellung spielt sich in ihrem wesentlichen Teil
entlang einer Hauptstraße im Zentrum der Stadt ab, in Schaufestern und in geschlossenen
Räumen. Dieser Teil der Stadt wurde für unsere Anliegen temporär als ein Kunstraum
definiert.
Das Projekt next code des Gleisdorfer
Künstlers Martin Krusche zieht sich, wie sein ganzes Schaffen, über die Jahre durch
verschiedene Länder. Sein next code, 2006 aus dem Projekt the long
distance howl hergeleitet, ist eine lange Erzählung darüber, was es heißt Mensch
zu sein. Was bedeutet Ich? Wer bin ich, wer sind wir
und wer sind die Anderen?
Mit diesen Fragestellungen greift Krusche einerseits tief
in die Historie, anderseits bleibt er in der Gegenwart, wo er die neue Mediensituation
unseres digitalen Zeitalters nützt, um in seiner Erzählung verschiedene
Menschen und ihre Geschichten zu verbinden quer durch unterschiedliche Kulturen, in
dialogischen Schritten zwischen Orient und Okzident. Diese Verfahrensweise nennt der
Künstler art under net conditions: Kunst unter der Bedingungen der
Vernetzung.
In diesem Jahr hat Krusches Projekt next code
als Schwerpunkt das Thema Liebe. Der Untertitel lautet: Liebe in Zeiten
der Telenovelas. Es geht unter anderem um Präsenz und Einflüsse des digitalen
Zeitalters, folglich der neuen Medien, auf das Leben so wie auf die Meinungsbildung von
Menschen.
Das Projekt widmet sich dem Thema Liebe in
unterschiedliche Kulturen. Weil next code sich gesamt auf der geografischen
bzw. kulturellen Achse Wien Belgrad Istanbul abspielt, sind im Projekt sowie
in dieser Ausstellung Kunstschaffende aus Österreich, Serbien und der Türkei vertreten.
Es gibt einen im Grunde abschätzigen Blick des Westens
auf die Anderen. Ich wollte als Kuratorin von Anfang an, dass die Auswahl von
Künstlerinnen und Künstler aus Serbien und der Türkei eine Sache der dortigen Kuratoren
bleibt. So kam es für mich zu einem anregenden Austausch zwischen der türkische
Kuratorin Övül Durmusoglu und dem serbischen Kurator Sasa Janjic. Nach einigen
Diskussionen und Treffen entschieden sich beide, in der Ausstellung Künstlerpaare zu
präsentieren, die nicht nur zusammen arbeiten, sondern auch privat zusammen leben.
Selim Birsel und Mürüvvet Türkyilmaz sind seit Jahren
privat und auch künstlerisch ein Paar. Sie betreten die Kunstszene immer zusammen. In
next code: love ist dieses Paar mit einer zweiteilige Installation vertreten.
Ein gedeckter Tisch mit zwei einander gegenüber gestellten Sesseln bilden eine Situation
des möglichen Dialogs. Zweiter Teil des Setups ist ein Thonet-Sessel vom Typ vis-á-vis,
der eine besondere Sitzgelegenheit und eine komplett andere Dialogsituation als der erste
bietet. Neben diesem Ensemble befindet sich noch ein ausgeschaltetes Videogerät, das
jeder Besucher nach Lust und Laune einschalten kann. Dem Betrachter bleibt überlassen, ob
er diese Installation passiv betrachtet oder eventuell aktiv an einem Dialog teilnimmt.
Milica Milicevic und Milan Bosnic sind sozusagen das
Belgrader Pendant des in Istanbul lebenden Künstlerpaares. Seit Jahren bewegen sie sich
künstlerisch auf der Linie zwischen Privatem und Öffentlichem. Dabei untersuchen sie,
wie sich das Eine in das Andere einschreibt und sich gegenseitig beeinflusst. Seit einiger
Zeit reist das Duo durch diverse Länder, besucht dort historische Plätze, Großstädte
oder bekannte Naturgebiete. Hand in Hand an diesen Orten stehend, vor ihrem Fotoapparat,
bildet sich das Paar per Selbstauslöser ab. Einige Ausschnitte dieser Reisen sind in
Gleisdorfer Schaufestern zu sehen. Einmal ist es unberührte, stille Natur, ein anderes
mal wieder ein bekannter, mit Kulturgeschichte aufgeladener Platz.
Als Künstler treten Isidora Ficovic und Aleksandar
Jestrovic Jamesdin oft zusammen auf, in einer live -Performance oder in gemeinsamen
Videoarbeiten. Auch wenn sie getrennt von einander arbeiten, greifen ihre Werke thematisch
oder stilistisch ineinander. Zum Thema Liebe präsentieren sie sich diesmal
mit separaten Arbeiten, die sich im Titel einander nähern. Die Videoarbeit Street
of Love von Isidora Ficovic ist eine Erzählung über verschiedene Lebens- und
Liebesgeschichten in diversen, der Künstlerin eher fremden Kulturen. Jamesdins
Installation Tunnel of Love handelt von der laufenden Sexualisierung des
Alltags, von Pornografie und einer anderen Ästhetik der nackten Haut. In beiden Werken
ist die Präsenz der Medien in unsere Wirklichkeit, ob durch Zeitungs- oder
Fernsehberichte, ob durch Werbung, konzeptionell involviert.
Das Medienübergreifende, wie es Projektinitiator Martin
Krusche in seinem Tun pflegt, habe ich bei der Auswahl der österreichischen
Kunstschaffenden im Auge gehabt. So wurden Kunstschaffende aus diversen Kunstsparten zum
Projekt eingeladen. Weil es sich hier um das Thema Liebe handelt, das uns
durch das ganze Leben auf irgendeine Weise begleitet, wollte ich auch Menschen
verschiedenen Alters in die Ausstellung integrieren.
Die in Gleisdorf lebende Malerin Herta Tinchon befasst sich
mit dem Thema Liebe vom Standpunkt ihrer vielen Jahrzehnte der Lebenserfahrung
aus. Mit Mitteln und Formen, die Tinchon aus ihrer auf klassischer Moderne basierenden
Ausbildung als Malerin vertraut sind, wagt sie in ihrem Triptychon ein Sprung in die Welt
des Fernsehens und Groschenromans.
Auf die Schiene der billigen Unterhaltung
bezieht sich auch Martin Krusche, der in seinem Triptychon die Mittel der Lyrik, der
Schundhefte und des Filmes verknüpft. Mit Zitaten seiner eigenen Texte
versehen, zeigen sich Krusches Arbeiten als mehrdeutige Projektionsflächen unseren
privaten und kulturellen Erfahrungen.
Das Medienübergreifende führt weiter zu einem Künstler
aus dem Bereich der Comic-Welten. Graphic-Novelist Jörg Vogeltanz, auch bekannt durch
sein exaltiertes Auftreten, hat eine starke Affinität zu düsteren Deutungen der Welt.
Vogeltanz ist überdies mit Film- und Radioarbeit vertraut. Nicht umsonst nennt ihn
Krusche seit Jahren meinen Dämon. Der Grazer bearbeitet das Thema Liebe
mit seiner skurrilen Zeichensprache.
Das aus Wien kommende Künstler- und Lebenspaar machfeld
-- Sabine Maier und Michael Mastrototaro -- sind als Netzkünstler bekannt, die viele
ihrer Kunstwerke in digitalen Codes realisieren. Für die Ausstellung haben sie eine
Arbeit im öffentlichen Raum und mit der Öffentlichkeit vorgesehen. Eine Gartenhütte,
wie sie uns aus Baumärkten bekannt ist, wird in das Stadtzentrum von Gleisdorf gestellt.
Einwohner und zufällige Passanten sind eingeladen, sich in dieser Hütte auf die
Experimente von machfeld einzulassen.
Im Grazer Künstlerkollektiv SPLITTERWERK,
durch dessen Zugänge zum Thema Ornament und dessen Nutzung (nach seiner
Verwerfung im frühen 20. Jahrhundert), fand ich für mein Anliegen als Kunsthistorikerin
einen passenden Besetzung. Die Fragen, die mich interessieren, befassen sich mit der neuen
Deutung der Kunstgeschichte. Oder anders gesagt: Was wäre, wenn jemand anderer die
Kunstgeschichte geschrieben hätte?
Das SPLITTERWERK bietet einige neue Sichtweisen
und Deutungen in der Architektur- und Kunstgeschichte. Für next code: love
ging die Gruppe in die Kunstgeschichte hinein und holte einige Ikonen der bildenden Kunst
hervor. Mit ihren Angriffen auf die Oberflächen eines Frühstück im Grünen,
einer Mona Lisa oder eines Merlin dringen die Grazer über die
Flüchtigkeit eines Augenblickes in dessen Tiefe ein.
next code: love versucht über einige kurze
Momente unseres Daseins in das, was uns und wie es uns ausmacht, zu blicken. Wohin next
code weiter führen wird, ist noch offen. Lassen wir es fließen...
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