next code: input #20

Mittendrin
(Momente, Stationen, Perspektiven)
Martin Krusche

Das mehrjährige internationale Kunstprojekt „next code“ hat seinen Schwerpunkt für 2007 im Thema „next code: love“. Es bringt Gegenwartskunst aus einem Kulturraum zwischen Wien, Belgrad und Istanbul in das oststeirische Gleisdorf. Die Hauptveranstaltung von „next code: love“ ist Programmteil des Festivals „steirischer herbst“, das heuer sein 40 Jahr-Jubiläum begeht. Initiator Martin Krusche hat sich auf einen historischen Hintergrund konzentriert, der auf die Fragen nach der „Identität Europas“ weist.

Als „Wurzeln des Abendlandes“ versteht man landläufig vor allem die griechische Philosophie, das römische Recht und die christliche Kirche. Sucht man nach den historischen Orten, an denen die Menschen lebten, denen wir diese Wurzel verdanken, landet man auf dem „Balkan“, in Nordafrika und in Kleinasien, dem heutigen Anatolien.

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Die „Identität Europas“ schöpft sich demnach keineswegs bloß aus den letzten 50 Jahren, während derer über den „Kalten Krieg“ ein in Osten und Westen zerfallendes Europa definiert wurde. Es sind für unsere gegenwärtige Sitution mindestens 500 Jahre von besonderer Bedeutung, während denen zwischen Wien (über Belgrad) und Istanbul das heutige Europa wesentliche Impulse seiner Entstehung bezog.

Orient und Okzident sind einst in intensivem Austausch mit einander gestanden. Dabei war bis ins Mittelalter die arabische Kultur der abendländischen in vielen Bereichen weit überlegen.

Als Napoleon im Jahre 1798 mit seinem Expeditions-Korps nach Ägypten zog, lösten dessen Konsequenzen einen tiefen Schock in der arabischen Kultur aus, der vermutlich bis heute seine Ausläufer hat. Zu diesem historischen Prozeß gehört ein denkwürdiges „Medienereignis“. Napoleons Leute fanden den „Stein von Rosette“, durch den es möglich wurde, die ägyptischen Hieroglyphen zu entschlüsseln. Auf dem Stein waren Informationen in zwei Sprachen und drei Codes erhalten: Ägyptisch in demotischer Schrift und in Hieroglyphen sowie Altgriechisch.

So steht dieser Fund symbolhaft für eine Schnittstelle zwischen verschiedenen Zeiten, Kulturen, Codes, für das Verständnis großer kultureller Kräftespiele der Art, welcher sich eine „Identität Europas“ weit mehr verdankt, als den jungen Spielarten des hochsprachlich geregelten und territorial präzisierten Nationalstaates.

Der Stein handelt von Vielfalt und weitem Horizont, von der Einladung, seine Blicke zwischen deutbarer Vergangenheit und Zukunftsvorstellungen hin- und hergehen zu lassen. Das Projekt „next code“ ist solchen Optionen gewidmet; in Anerkennung der unverzichtbaren kulturellen Vorleistungen auch anderer Nationen für unsere Gegenwart.

Hier wird nicht salopp von einem „Dialog zwischen Orient und Okzident“ schwadroniert; zu oft erweist sich solch ein Aviso bei näherer Betrachtung als großspurig formulierte Leerformel. Wir nehmen einzelne Fäden solcher Handlungsstränge auf, arbeiten konkret damit.

Das Bezugsfeld von „next code“ reicht quer durch Europa, bis in den „Orient“, reicht vom nördlichen Dänemark bis in den südöstlichen Iran. Aus diesem Bezugsfeld haben Kunstschaffende sich hier zur Kooperation eingefunden.

Foto: Martin Krusche bei "Radio Helsinki", done by Jörg Vogeltanz.


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