Leiblichkeit,
Virtualität und die Politik der Netzwerke
Von Elisabeth List
Vortrag anläßlich
der ersten oststeirischen
Netzkultur-Konferenz "Leiblichkeit und Virtualität"
Mit diesem Thema holt
mich die Initiative kultur.at hier in Gleisdorf zurück in eine schon einige Zeit
zurückliegende Phase der Auseinandersetzung mit den kulturellen Effekten der Neuen
Technologien, von IT, Cyberspace und "virtual reality". "Virtual
reality" ist zu einem Schüsselbegriff in der Auseinandersetzung um den Cyberspace
geworden, und an diesen Begriff knüpfen sich Phantasien, Hoffnungen und Erwartungen
hinsichtlich der realitätsverändernden Macht der neuen Technologien, insbesondere der
Technologien der Datennetzwerke.
Ich möchte mit einer
schlichten Begriffsklärung beginnen. Ich übersetze die Termini "Leiblichkeit"
und "Virtualität" als "Wirklichkeit" und "Möglichkeit".
Damit mache ich vorweg klar, was für mich wirklich ist, nämlich der Bereich der
Leiblichkeit. Und "Virtualität", "virtuell" bedeutet nach der
lateinischen Wurzel des Wortes die Möglichkeit und das Mögliche. Von da aus drängt sich
auf, den magischen Terminus "virtual reality" zu dekonstruieren. "Virtual
reality" heiß auf deutsch schlicht: "Mögliche Wirklichkeit". Ist also
das, was unter dieser Bezeichnung daherkommt eine Möglichkeit oder eine Wirklichkeit?
Nach den Regeln der Grammatik und Semantik ist "mögliche Wirklichkeit" ein
Pleonasmus. Nichts kann wirklich sein, was nicht möglich ist. Und so sagt ein Spruch: Was
möglich ist, kommt vor.
"Virtual
Reality" sagt aber doch etwas ganz Besonderes. Der Begriff suggeriert den Fans des
Cyberspace, dass die durch die neuen Technologien erzeugten Bilder in spezifischer Weise
"wirklicher" sind als andere Phantasiebilder, als die Phantasiewelt des
Märchens oder des Romans. Warum? Weil sie uns visuell präsentiert werden, und vor allem,
weil sie "interaktiv" sind, und sich durch die eingesetzten Technologien der
Datenbrille und der Datenhandschuhe manipulieren lassen. Der Cyberspace stattet sich auf
diese Weise mit einer neuen Metaphysik aus, und präsentiert sich als Tor zu einem neuen
Bereich von Wirklichkeit.
Er zeigt eine neue
Wirklichkeit, in die man "einsteigen" kann, und, so wird gesagt, sie erlaubt uns
"auszusteigen" aus unserer leiblichen Wirklichkeit, aus dem Gefängnis des
Fleisches, das unser Körper, unsere leibliche Existenz darstellt.
Es wird dabei
geflissentlich übersehen, dass bei Gibson, dem literarischen Erfinder des
"Cyberspace", diese neue Welt des Datennetzes keineswegs besonders gemütlich
ist, dass der "Neuromancer" eine Dystopie ist. Ich jedenfalls habe mich beim
Versuch der Lektüre des Romans von Gibson sehr fremd gefühlt.
Mein eigenes Denkens konzentrierte sich in der Folge auf das Thema der
Leiblichkeit, konkret gesagt, auf eine Rehabilitierung des Leiblichen. Mein erster Versuch
zum Thema hat den Titel "Cyberplatonism", zu deutsch "Platon im
Cyberspace". Warum gerade Platon, Platonismus? Platon hat ältere Mythen in
Philosophie gekleidet und mit seiner Ideenlehre den Mythos fortgeschrieben, demzufolge
alle Wirklichkeit in einem von der sinnlichen Welt weit entferntes Reich der Ideen ihre
Heimat hat. Von Platon stammt das Wort vom Körper als Grab der Seele. Ähnlich wird
Körper bei Gibson zum bloßen Fleisch zum Implantieren von Computerchips, die die
Verbindung zu der anderen Welt des Cyberspace herstellen.
Die Sehnsucht, in diese Welt zu gelangen, beflügelt die Enthusiasten des
Cyberspace. Sie bemerken nicht, dass die Glücksversprechen des Cyberspace längst zum
Markenzeichen für eine neue Industrie geworden sind, Microsoft, Apple und andere. Und es
ist nachgerade eine Ironie, dass einer der profitabelsten Märkte für VR - virtual
reality - die Produktion von Hardcore Pornos geworden ist. Dieses Geschäft hat die
Einführung teurer und leistungsfähiger Prozessoren erst rentabel gemacht. Das ist also
der Stoff, aus dem die laissez-fary-tales von der neuen Freiheit im Internet gemacht sind.
Das versprochene Glück realisiert sich erst mal als virtuell gesteuerte und angeleitete
Masturbation. Und der Leib, den der Neuromancer hinter sich zu lassen meint, wird zum
Objekt einer neoliberalen Selbstversklavung. Vom Verspechen der Selbstbefreiung zurück in
neue Formen der Abhängigkeit und der Sklaverei.
Die Verbindung zum Leib, um den es hier gehen soll, ist durch den platonischen
Mythos gekappt worden. Wie läßt sich diese Verbindung wieder herstellen, oder anders
gesagt, wie läßt er sich zur Sprache bringen? Dazu wäre es nötig, einen Ausflug in die
Philosophie zu unternehmen, nicht in die Philosophie ganz allgemein, sondern in die
Phänomenologie, die der einzige ernsthaft Versuch ist, das Leibliche als Kernpunkt aller
Erfahrung und auch allen Tuns verständlich zu machen. Keine Angst: Ich werde keine
akademische Vorlesung über Phänomenologie halten. Ich möchte nur auf einige Punkte
hinweisen, von denen aus klar wird, was Leiblichkeit bedeutet.
Im Zentrum der Philosophie der Neuzeit steht das Diktum eines vielzitierten
Philosophen aus dem siebzehnten Jahrhundert, René Descartes. Das Diktum, Ihnen wohl
bekannt, lautet: Ich denke, also bin ich. Aus diesen Satz baut Descartes sein ganzes
Weltbild auf, und Generationen von Philosophen und auch Wissenschaftlern folgten ihm in
der Überzeugung, dass das, was uns die Welt und uns selbst erschließt, das Denken ist.
Die Welt und wir selbst also: reine Kopfgeburten. [...]
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