the long distance howl / ncv / seite
#28
Brüche und Flüsse
Auf Streaming ausweichen? Das war für Oliver Mally keine
bevorzugte Option. Nach dem ersten 2020er Lockdown schien es
noch machbar, verschiedene LIVE-Konzepte umzusetzen. Ich habe
das selbst genossen. Eine Session im Festsaal von Schloß
Freiberg, zwei Veranstaltungen im Freien. Alles sehr emotional,
sehr gesellig.
Es gilt ja prinzipiell, daß reale soziale
Begegnung mehr Tiefe zuläßt als Telekommunikation. Das Konzert
des Musikers ist dazu auf spezielle Art bestimmt, viele Menschen
für seine Dauer zueinander in Beziehung zu setzen.
Mally ist erfahrener Solist, überdies
meist in sehr kleinen Ensemble-Besetzungen auf den Bühnen
zugange. Ein etwas salopper Begriff dafür lautet
„Club-Atmosphäre“. Das war in Graz etwa während der späten
1970er Jahren und in den 1980ern eine Standard-Situation. Cafés,
Clubs, Keller hatten jene Winkel und winzigen Bühnen, wo wir uns
alle vor Publikum erprobten.
Ich hab eine Weile in
Hamburg gelebt und da eindrucksvolle Varianten der Profis
kennengelernt. Alte Blues-Leute wie Champion Jack Dupree. Oder
Tom Waits, den ich in einem winzigen Laden fast auf Armeslänge
vor mir hatte, als er 1980 sein Album „Heartattack and Vine“
vorstellte.
Im Kontrast dazu Bruce Springsteen, der uns
alle anläßlich von „The River“ im riesigen CCH volle vier
Stunden lang zeigte, wo beim Rock & Roll der Hammer hängt. Aber!
Clubkultur. Live-Situationen, in denen man den Musiker atmen
hört.
Genau das ist unter Corona in sich
zusammengeklappt. Mally verzweifelt inzwischen an den aktuellen
Bestimmungen und der galoppierenden Unklarheit, wie diese
umzusetzen seien. Er sagt: „Mir fällt langsam nichts mehr ein,
wie man darauf konzeptionell reagieren könnte.“
Grimmige Version: „Ich müßte also
Leute dazu bringen, ihre Arbeit hinzuschmeißen, damit sie um
drei Uhr nachmittags zu meinem Konzertbeginn kommen, damit wir
früh genug fertig sind, um sie ordnungsgemäß heimzuschicken.
Dazu müßten sie sich vorher selbst einen aktuellen Test bezahlt
haben.“
Oder der Anruf aus seiner Plattenfirma: „Wie
viele Exemplare der neuen CD sollen wir dir schicken?“ Mally:
„Ich spiel in nächster Zeit keinen einzigen Gig. Wem soll ich
die verkaufen?“ Ich hab das Master dieser CD ja schon hören
können. Wunderbareres Zeugs, das zeigt, wie erfahrene Musiker
klingen, wenn sie im gemeinsamen Spielen etwas Inniges haben.
Das Überschreiten von Landesgrenzen ist derzeit aussichtslos
bis unmöglich, dann aber plötzlich wieder machbar. Die Kosten
für nötige Tests, Quarantänezeiten etc., lauter Unwägbarkeiten.
Das ist alles einfach nicht machbar. In der Kälte des Winters
kann man kein Konzert unter freiem Himmel spielen, was mehr Raum
für Musiker und Publikum zuließe. Was bleibt?
An seinem
Oeuvre arbeiten. Ein Album einspielen. Auch kaum noch machbar.
Mally: „Ich kann ja einige der Musiker, mit denen ich arbeiten
möchte, gar nicht herbringen. Wie setzen wir die Vorschriften
um? Wer zahlt das? Es ist im Moment nicht zu schaffen.“
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen hat er jüngst einem
Streaming zugestimmt. Das führt zum nächsten Problem. Gerade im
Lockdown sind zu manchen Zeiten extrem viele Leute online. Ich
kannte die Aufzeichnung des Konzerts schon und hab dann den
Stream über die gleiche Anlage gehört.
Der Qualitätsverlust war gravierend, die zwischenzeitlichen
Hänger im Datenfluß banal. Bleibt die wuchtige Frage im Raum:
wie soll ein Musiker derzeit angemessen arbeiten und dabei sein
Brot verdienen?
-- [Groove] --
Die Screeshots stammen von einem Stream der Kleinen Zeitung:
Oliver Mally mit Martin Moro (Gitarre, Mandoline), Martin
Gasselsberger (Piano), Alex Meik (Bass) und Peter Lenz (Drums),
eingspielt im Kultursaal Wagna. |