Der kurze Sommer des Automobils / Seite 29

Ich bin nun mit einer sehr kontrastreichen Runde von Menschen im Gespräch, denn das Jahr 2017 bringt uns ein ganzes Ensemble von Jubiläums-Situationen ein. Das sind gute Anlässe, um zu bedenken und zu debattieren, wofür diese Geschichten stehen.

Für mich sind natürlich "60 Jahre Steyr-Puch 500" sehr exponiert. Dazu passen im Hintergrund zwei weitere Jahreszahlen. Die Eröffnung des Werkes Graz-Thondorf liegt dann genau 75 Jahre zurück. Der Trägerverein des Johann Puch Museum Graz hat 2002 seine Aktivitäten begonnen, blickt also auf bald 15 Jahre des Engagements. Ergänzend wie passend, der Herr von Drais hat sein Laufrad im Jahr 1817 zum Patent angemeldet, da runden sich 200 Jahre.

Beachten Sie, daß diese Entwicklung in ein interessantes Zeitfenster paßt: 1814-1914- 2014, das reicht vom Wiener Kongreß, über den Ersten Weltkrieg, in unsere von der EU geprägten Gegenwart, die aus den letzten Jahre einige massive Krisen bezogen hat.

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Der amerikanische "Volkswagen": Ford Model T (1915)

Wir leben also nicht bloß seit rund 200 Jahren in einer permanenten technischen Revolution, zu der kontinuierliche Beschleunigung gehört. Dazu zählt auch ein sich permanent veränderndes, sich inhaltlich verschiebendes Europa.

Vor diesem Hintergrund markiert das Puch-Schammerl jenen Abschnitt, in dem Europa eine Massenmotorisierung erfuhr, die davor nicht möglich war, obgleich man an Amerika schon sehen konnte, was da auf uns zukommt.

Historiker Philipp Blom hat den Beginn des Fordismus in seinem Werk "Der taumelnde Kontinent" sehr anschaulich zusammengefaßt. Henry Ford habe vor allen andren begriffen, man müsse "100.000 billige Autos mit kleinem Profit an Kunden mit bescheidenem Einkommen" verkaufen, damit könne man mehr Profit machen, als wenn man "hundert exklusive und teure Automobile an die Reichen" verhökert.

Das hat vorgezeichnet, wie Massenproduktion und Massenkonsum zusammenfanden, denn nur so kommt es zu attraktiven Preisen. Blom notierte, das Model T von Ford habe im Jahr 1908 noch 825 Dollar gekostet, acht Jahre später nur mehr 360 Dollar.

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Gruß aus Deutschland: Über den Steyr Puch Freundeskreis erreichte
und dieses historische Foto vom Leiter der Klassik Mitglieder-
und Clubbetreuung (KLC) des ADAC (Große Ansicht)

In Europa setzten solche Entwicklungen erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Dabei fehlte der Wirtschaft nach dem Ersten Weltkrieg jenes zahlungskräftige Publikum aus dem Bürgertum, das sein Geld über Kriegsanleihen für das Völkerschlachten verloren hatte.

Damit fehlten der Autoindustrie Europas die Umsätze (und Profite) für entsprechende Dimensionssprünge. So kommt dem 1957er Pucherl eine symbolträchtige Rolle zu, auch wenn es sich nur einige Jahre auf dem Markt halten konnte, da nicht nur nächste Technologiesprünge anstanden, das Publikum wollte auch bald etwas größere Autos fahren.

Die Pucherln hatten freilich eine Art zweiter Karriere bei meiner Generation, nämlich in einer großen Flotte billiger Gebrauchtwagen, mit denen Leute wie ich mit wenig Geld ihr Auto-Debüt haben konnten.

In den 1970er Jahren waren zwar 5.000,- bis 20.000,- Schilling kein Kleingeld, aber man warf sich nicht gleich vor den nächsten Zug, wenn einer dieser Wagen den Bach hinunter ging. Das sind einerseits Aspekte, von denen unser Buch [link] handelt, das hier seine laufende Erweiterung im Web hat.

Andrerseits ergeben sich dabei Schnittpunkte zu den Erfahrungen und zum Wissen anderer Leute, denn an dieser fesselnden Geschichte ist vieles nicht dokumentiert. Allerhand Details ergeben sich aus den Begegnungen und Gesprächen, aus Korrespondenz, aus gezielter Wissensarchäologie und aus zufälligen Aufschlüssen.

So gehen  wir also in dieses kommende Jahr, das uns einigen Gesprächsstoff bietet und allerhand Diskussionsbedarf auferlegt. Das gilt um so mehr, als wir nicht bloß zurückzublicken haben, sondern auch im Ausblicken gefordert sind.

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Und sei es nur, weil Massenmobilität, gestützt auf den individuellen Privatbesitz von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren ein erkennbares Ablaufdatum hat. Wir werden womöglich noch erleben, daß allein über den Kostenfaktor solcher massenhafter Privatbesitz einbricht, endet.

Dazu kommen die Probleme ganzer Volkswirtschaften, das bestehende, mehr als betagte Straßennetz im vollen Umfang instandzuhalten, was schon jetzt Investitionen verlangt, die mir keinesfalls gesichert erscheinen. Das ist also eine interessante Ära. Da gibt es viel herauszufinden...

1957 bis 2017
60 Jahre Steyr-Puch 500
[link]


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