1. Jänner 2025

Evidenz und Abwesenheit


Ich bin ohne Hangover über diese Markierung im Kalender spaziert, also kann der Tag so beginnen, wie es mir zusagt. Ein Kübel Kaffee gebraut. Dicke Socken angezogen. Ins Büro gegangen. Wie die Ballerina sich nach dem Aufstehen streckt und der Gitarrist seine Fingergelenke kurz knacken läßt, so ist mir nach Worten und Sätzen.

Vor den Fenstern tiefe Stille. Die Leute haben sich nachts noch ausgetobt und allerhand Krach geschlagen. Das blieb in meiner Straße recht knapp gefaßt. Fetter Nebel hatte die Feuerwerke eingehüllt. Ich hab an dieser Jahreswende weiter nichts auszusetzen.


Immerhin war ich bescheiden gewappnet. Im Kühlschrank Cava, Uhudler Frizzante und Weißburgunder. Dann wurde es um Mitternacht aber diese bewährte Mischung aus Whiskey, Dattelsirup und Milch, darauf nicht zu knapp Eiswürfel. In meiner Nische ist Kälte eine Geschmacksrichtung.

Außerdem denke ich bei jeder kleinen Portion Packeis in einem meiner Gläser an Ernest Shackleton. Er hat nicht vor der Welt geglänzt, sondern für seine Crew in finsterer Nacht und peinigender Kälte ein Licht hochgehalten. Nichts weiter. Sowas gefällt mir.

Ich weiß, das Trommeln gehört zum Geschäft und man kann sein Brot kaum verdienen, wenn man die Geschäfte vernachlässigt. Aber wie viele hab ich im Kulturbereich heute vor der Nase, die haben das Trommeln zu ihrem Geschäft gemacht, den Rest an Möglichkeiten aufgegeben. So war das freilich nicht gemeint.


Ich hatte mir den gestrigen Nachmittag die Arbeitszeit noch mit Pausen und Kabarett gestaltet. Von da nahm ich ein Zitat des Michael Niavarani mit. Er sagte in „Schlageranfall“ zu Fragen der Political Correctness, Wokeness inklusive: „Wir wollen niemanden verletzen. Steht ja an jeder Ecke einer, der drauf wartet, daß er beleidigt sein kann. Aber aus tiefstem Herzen, meine Damen und Herren, ganz ehrlich. Wenn sich jemand von unseren Witzen verletz fühlt, wenn er gekränkt ist, dann... Bleibns daham!“

Trommeln als Geschäft. Ömpörung als Beschäftigung. Das sind ja unanfechtbare Tätigkeiten. Ich grüble schon geraume Zeit, wie sich dieses Genre bezeichnen ließe, damit ich mich davon deutlich absetzen kann, ohne anmaßend oder beleidigend zu wirken.

Ich seh mich da mit einer Klugscheißer-Brigade konfrontiert, die auch im Kulturbereich für einen unübersehbaren Rechtsruck gesorgt hat. Ministranten des Irrationalen. Tänzerinnen einer staunenswerten Behauptungspornografie. Freilich im Wesen nichts, was ich nicht auf dem Boulevard schon erlebt hätte.


Was dabei im Kern vorgeht, hat die geistreiche Heidi Kastner in eine Frage gepackt: „Wollen Sie diskutieren oder recht haben?“ Der Unterschied zwischen Erkenntnissuche und Dominanz-Pose sollte klar sein. Doch zugegeben, es ist mir mittlerweile fast egal. Ich wurde nicht beauftragt die Welt zu retten.

Der Punkt ist: Ich suche Verbündete, anstatt nach Gegnern Ausschau zu halten. Es ist keine Mühe zu lernen, wie man Menschen bedroht. Das hat in unserer Kultur hohen Rang. Ich halte es dagegen für anregender, Wege zu finden, wie man Menschen gewinnt. Dabei gibt es ohnehin kein Gedränge, wenn man sich vom Boulevard fernhält. Und sonst? Das wird sich weisen! Noch ein anregendes Zitat, diesmal aus meiner gestrigen Lektüre: „absence of evidence ain't evidence of absence.“

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