31. Dezember 2024

Ausblick statt Rückblick


Aber nein! Welches Interesse sollte ich an einem Jahresrückblick haben? Inventur? Ich führe weder einen Krämerladen, noch ein börsennotiertes Unternehmen. Ich habe ein Leben. Das ereignet sich nicht in Rhythmen von zwölf Monaten, sondern in Kontinuität.

Zugegeben, in meiner Buchhaltung spielt das Jahresende eine Rolle, das Finanzamt zu ignorieren wäre Unfug. Zugegeben, das Zeitmaß hat auch ein paar persönliche Momente. Wenn ich etwa bestaune, daß der Kalender mir mitteilt: „Kru! Noch ein Jahr und du bist 70.“ Eine Markierung, die mein Vater nicht erreicht hat. Es ist aber auch deshalb etwas irritierend, weil mein Bild von siebzigjährigen Menschen sich kaum mit meinem Selbstbild deckt.



(Martin Krusche at Forum Kloster by Paul Walter)

Verstehen Sie mich recht, es geht dabei nicht um das Gefühl des Jüngerseins. (Ich halte übrigens den Begriff „junggeblieben“ für eine ziemlich doofe Phrase!) Mir geht es um die Tauglichkeit von Bildern. Das zielt auf die Frage, was die Bilder in der Kommunikation leisten.

Nebenbei bemerkt, ich stoße mich auch an dem euphemistischen Begriff Senioren. Altsein wird in unserer Gesellschaft von vielen Seiten unübersehbar als Makel betrachtet. Was für eine törichte Pose, diesen Umstand zum Beispiel mit dem hohen Amt in einem Senat zu assoziieren, also mit einen Ältestenrat, dessen Status Gewicht hat. Oder mit der noblen Kategorie des Elder Statesman. Das ist bloß Framing.

Solche Begriffsblödheiten verzerren unsere Auffassung von Realität, die schließlich ganz wesentlich durch Sprache hergestellt wird. Ich bin kein „Senior“. Daraus folgt unter anderem, daß ich als alter Mann begriffen werden möchte, was ich mit meinen 69 Jahren bin.

Diese Position hat mir schon allerhand verständnislose bis abschätzige Reaktionen eingebracht. Die empfinde ich als Zumutung. Es wird anscheinend nicht verstanden, daß Folgerichtigkeit und eine Genauigkeit in den Begriffen zwei Grundbedingungen meines Metiers sind.



(Martin Krusche at Splitterwerk by Ursula Glaeser)

Adorno hat in seinen „Minima Moralia“ notiert: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Das lohnt einige Überlegungen. Ich lebe in der Kunst. Meine Arbeit ist nicht nur, aber überwiegend immateriellen Gütern gewidmet. Sollte ich dabei auf Genauigkeit und Folgerichtigkeit verzichten, würde ich mein Werk auf den Rang von Dekorationsgegenständen herabstufen.

Weshalb sollte ich so was fahrlässiges tun? Ich ziehe es vor, mich dafür zu interessieren, wohin meine Entscheidungen weisen. Ein Buddhist würde vermutlich sagen: „Alles hat Konsequenzen. Nichts ist egal.“

Was die Kunst angeht, sehe ich mich im Lager von Markus Lüpertz, der meint, es sei ein Ringen um Qualität und Vollendung. Wie weit man dabei kommt, zeigt sich über die Jahre ganz unterschiedlich. Ich hab also zu tun...

Zur Sache
+) Mein Beruf (Zu einer fälligen Debatte)
+) Ich bin Lyriker (Ein Stück Hintergrundfolie)

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