25. Dezember 2024
Der Rest vom Jahr
So still, wie das heute vorkam, findet man die Stadt nur
selten. Es macht einen ganz anderen Blick auf alles möglich.
Ein Bestaunen. Ich sehe mich außerdem in einer Tradition der
Peripatetiker. Manches kann im Gehen sehr viel besser
gedacht werden als im Sitzen.
Der junge
Höhenwanderweg im nahen Einkaufszentrum gefällt mir, wenn er
ohne Menschen ist. Diese festgefrorene Geschäftigkeit, von
der dann nur Portale und Fenster erzählen. Ich hatte mich ja
davor oft auf der Baustelle umgesehen. Nun ist alles
aufgeräumt und nutzbar.
Ich brauche diese stilleren Momente, in
denen solche strukturellen Details auf mich
wirken können. Altes, wie es wegbricht.
Neues, wie es erst spärlich belebt wurde.
Das ist, was von außen bei mir ankommt.
Ferner heilen meine Blessuren und innen
kommen meine Dämonen zur Ruhe. (Das war kein
bequemes Jahr.) Wollte man bloß einen
Bruchteil dessen aufnehmen, verstehen, was
einem aus den diversen Nachrichtenkanälen
daherströmt, man könnte den Verstand
verlieren. Ich hab meine Themen knapper
gefaßt. Und ich hab gut zu tun, aktuell zu
klären, wie mein Einvernehmen mit den
Menschen in meiner nächsten Umgebung sein
soll. Ich nehme zur Kenntnis, daß
verdeckte Intentionen banaler Standard sind.
Aber ich will mich damit nicht arrangieren.
Ich muß mehr lesen, um besser zu begreifen,
wo manche Diskurse derzeit stehen. Es bleibt
ohnehin schwierig, über den Tellerrand des
eigenen Begreifens hinauszublicken.
Da draußen, jenseits meines
Tellerrandes, wartet niemand auf mich.
Jeder Gedanke ereignet sich auf eigenes
Risiko. Ich versuche derzeit etwa, zu
begreifen, was Ort und Raum
unterscheidet. (Place and space.) Wer
solche Überlegungen für nutzlos hält,
kennt nicht einmal den Tellerrand.
Ich hab gelegentlich Bücher in
Händen, da muß ich manche Seiten zwei,
drei, vier mal lesen, um zu verstehen,
was der Text anbietet. Nebenbei bemerkt,
es ist immer noch so, daß ich den Mangel
an Esprit für einen strafbaren
Tatbestand halte.
SzenenwechselIch hab beim
Nachdenken über die
Autismus-Spektrum-Störungen bemerkt, daß
ich einige Eigenheiten autistischer
Menschen teile. Zum Beispiel die Qualen
von Small Talk, dem ich mich entziehe,
wo immer es geht. Auch die hohe
Empfindlichkeit betreffs
Reizüberflutung. Oder wenn ich einfach
zu viel unter Menschen war und keine
Worte mehr in mir habe, die ich noch
aussprechen könnte.
Ich hab bloß gegenüber autistischer
Menschen den Vorteil, daß ich
etliche solcher Belastungen
ertragen, schultern und
umorganisieren kann, falls ich grad
nicht entkomme. Und zwar ohne daß es
mir die Sicherungen schmeißt. Aber
gerne tu ich es nicht. Sowas
erzeugt merkwürdige
Befindlichkeiten, die ich als
„schmerzlosen Schmerz“ erlebe. Das
heißt, es tut mir nicht auf jene Art
weh, wie es ein Schlag, ein Bruch
oder ein Schnitt tut. Es löste aber
die gleiche belastende Spannung aus,
nur ohne den physischen Schmerz. Man
könnte sagen, daß die Seele weh tut.
Deshalb muß ich zwischendurch in
die Stille gehen und es fehlt mir
überhaupt nichts, wenn ich zwei oder
drei Tage kein Wort spreche. Ich bin
ohnehin überzeugt, mein Status ist
Menschenmaß. Wer in diesen Dingen
längerfristig wesentlich belastbarer
ist, dehnt die Conditio humana aus;
mitunter bis in schädliche Zonen.
Ohne mich!
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