13. Dezember 2024
Und Syrien?
Der Sturz von Assad hat einmal mehr illustriert, was wir
von jedem Tyrannen des 20. Jahrhunderts kennen. Solchen
Leuten genügt der Tod unliebsamer Menschen nicht. Sie lassen
foltern.
Das bedeutet, sie schaffen Milieus, in denen
sich Personal ihren düsteren Seiten anschließen kann. Sie
erweitern sich selbst um Teams von Folterknechten. Das
Grauen darf sich im Boss und in seinen Handlangern
einnisten, darf sich so entfalten.
Diese Anmaßung, jemanden zu töten, ein Leben
zu nehmen, wird auf dem Weg noch überhöht,
teamfähig gemacht, staatstragend. Der Tyrann
entlohnt die Teams für ihre Gefolgschaft und
dafür, daß sie neben maßlosem Schrecken vor
allem entsetzliche physische Schmerzen
verbreiten. Ich bin überzeugt, diese
Fähigkeit, anderen Qualen zu bereiten, diese
exzessive Form der Gewalttätigkeit, liegt
nicht von hausaus in der menschlichen Natur.
Es ist eine Anomalie. Ich verzichte hier auf
Beispiele der Foltermethoden im
Saidnaya-Gefängnis. Das Internet ist voll
davon. Es mag ab und zu vorkommen,
daß ein Mensch so geboren wird, vollkommen
taub für das, was er anderen antut, ohne
also selbst daran zu leiden, wenn er
jemandem Entsetzliches aufbürdet. Diese Art
der Abweichung, der Pathologie, ist aber
gewiß die Ausnahme. Zum Folterknecht wird
man durch Prozesse einer Brutalisierung.
Jeder Kommandant wie auch jeder
Präsident haftet für derlei Täterinnen
und Täter, ist selbst aktiver Teil
solcher Kumpanei, in der Mitmenschen
erst als Gegenmenschen und dann als
Nichtmenschen deklariert werden, um sie
der Folter auszuliefern. Es gibt
dazu keinen anderen praktischen Grund,
keinen Nutzen, außer diesem: Schrecken
zu verbreiten, um Fügsamkeit zu
erwirken. Terror. Deshalb erstaunt mich
so allerhand Euphorie über den
Machtwechsel in Syrien. Die neuen
Machthaber sind doch – so viel ich weiß
– Gesinnungsgenossen von Daesch. Auch
wenn sie (vorerst?) darauf verzichten,
einen „islamischen Staat“ zu gründen und
angeblich an Syrien festhalten, sind das
doch IS-Leute. Steht nicht auch
in deren Tradition eine grenzenlose
Grausamkeit? Haben Sie im Internet jenen
Mann gesehen, der – wie auch einige
andere – lebend in einen Käfig gesperrt,
mit Benzin überschüttet und angezündet
wurde? Haben Sie Fotos gesehen, wie man
zur Erbauung des Publikums Schwule von
Hochhausdächern geworfen hat?
Warten wir also ab, was den Menschen
in Syrien bevorsteht. Was ich
bezüglich des folternden Personals
erwähnt habe, ist freilich keine
Domäne der arabischen Leute. Das ist
eine globale Verfahrensweise. Ich
halte es deshalb für eine Anomalie,
weil es offenbar nicht von jeher zur
Conditio humana gehörte. Die
ältesten forensischen Belege dafür,
daß Menschen vor ihrer Ermordung
körperlich mißhandelt, gefoltert
wurden, stammen aus dem Neolithikum.
Aus jener Phase des Umbruchs, da
Menschen gegenüber den Jägern,
Sammlern und Hirtennomaden seßhaft
wurden, sind Gräber erhalten, die
Massaker belegen, bei denen
gefoltert wurde. Was geht uns
das nun an? Erstens war es bis zur
Generation meiner Eltern üblich,
unliebsame Menschen zu berauben, zu
foltern und zu ermorden. Diese Saat
ist keinesfalls verläßlich
ausgerottet. Zweitens können sich
solche Verhältnisse jederzeit wieder
entfalten. Gewalt durch
Sprache, ein Krieg der Worte, das
öffentliche Verhöhnen und
Herabwürdigen anderer Menschen ist
stets ein verläßlicher Hinweis
darauf, wohin die Reise gehen kann.
Fragen Sie sich selbst, ob Ihnen
dafür aktuelle Beispiele
einfallen...
[Fortsetzung folgt!] +)
Politik
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