19. Oktober 2024

Plüschige Männerkultur


Selbstverständlich hat ein Headliner die Aufgabe, das Publikum forsch anzusprechen, folglich die Auflage des Blattes günstig zu beeinflussen. Das sollte eben meist knallen. (Der Begriff reißerisch ist in diesem Zusammenhang offenbar etwas aus der Mode gekommen.)

Ich bleibe aber prinzipiell skeptisch, wenn Menschen in Headlines so zitiert werden, daß ich stutze. Schließlich lernt man selbst in einem schlampigen Ferialpraktikum, daß Zitate mit An- und Abführungszeichen kenntlich gemacht werden sollten, um etwas zu enthalten, das die betreffende Person auch tatsächlich gesagt hat.

Hat er? Vermutlich. Genauer, der Showmensch Thomas Gottschalk mit seinem Faible für plüschige Garderobe beliebte in den letzten Tagen so allerhand Statements rauszuhauen, die ihm viel Aufmerksamkeit und manchen Unmut eingebracht haben. Er versteht nämlich sein Geschäft. Wie heißt es in der Branche? „Bad news are good news!“ Auch ein Shitstorm bringt Quote. Immerhin will und muß ein Gottschalk-Buch verkauft werden. Das schreit nicht bloß nach Return of Investment, das soll Profit einfahren.

Textzeile aus der Hymne des Kompenationsgeschäftes.

Ich finde es bemerkenswert, wie ein alter weißer Mann sich derart herablassend über alte Menschen äußern mag. Hätte er es begrüßt, möglichst jung zu sterben? Offenkundig nicht. Hat sich in den über 70 Jahren Lebenszeit kein Anlaß gefunden haben, dieses Altsein als unausweichlich zu begreifen.

+) Was der Fall ist: „Ich werde ein alter Mann sein.“
+) Rock & Roll: „Only the good die young!“
+) Kompromiß: „Too old to rock & roll, too young to die.“

Bei all dem ist der doofe Euphemismus „Senioren“ keine Hilfe, bloß eine halbherzige Verschleierung. Es geht schließlich um persönliche Klarheit, was man mit den biologischen und mentalen Konsequenzen des Alterns anfangen möchte.

Nach meiner Erfahrung kann man sich davor - in den Fünfzigern - noch ein Weilchen drücken, aber jenseits der 60 macht die Natur unerbittlich klar, was nun geschieht. (Mit der Natur kannst du nicht verhandeln!)



Ein Mann, ein Wort, das glaub ich ja sofort.

Es bereitet mir kein Kopfzerbrechen, daß Gottschalk sich selbst jenseits der 70 eventuell „erschreckend“ findet, weil er nie werden wollte, was er nun ist. Ich muß auch nicht wissen, ob das bloß Borniertheit ist, oder womöglich eine Art von Kompetenzmangel. Aber was er mit der Macht seiner Popularität verkündet, ist ein störender Mumpitz, den man bloß bei Teenagers für unerheblich halten würde.

Daß Altsein auf solch plakative Art herbgesetzt wird, beinhaltet ja die Sanktion für Herrn Großklappe schon, da er sein muß, was er nicht sein möchte. Die Außenwirkung ist aber ärgerlich, zumal wir natütlich nicht erfahren, welche spezielle Qualität das „Jungsein“ als ganzheitliche Lebenssituation beinhalten soll. Darüber schweigen solche Schwätzer gewöhnlich.

Ich kann als alternder Mann von solchen Konsorten nichts Brauchbares lernen. Solche Manieren als Teil einer vorherrschenden Männerkultur sind vermutlich seit dem Neolithikum gereift, um heute männliche Krisenanfälligkeit immer öfter mit diversen Kraftlackeleien und notfalls Gewalttätigkeit zu kompensieren. Das wird von selbst nicht besser werden, aber auf immer effizientere Widerstände stoßen.


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