17. Mai 2024

Kontinente


Die Zeit des Steineklopfens. So nenne ich Routinearbeit, die mich ein wenig langweilt, aber dennoch meine Konzentration fordert. Naja, es gibt auch Bereiche des Steineklopfens, da muß mein Verstand nicht viel machen und ich kann mir während der Arbeit interessante Gespräche anhören, Debatten, oder Vorträge.

Allerhand Anregendes, während ich etwa Archivarbeit mache, Fotos sortiere, alte Zeitschriften schlichte. Ich bin ein notorischer Papierfresser. Man kann sagen, ich lebe in einer Bibliothek. Das führt auch zwingend dazu, mit unterschiedlichen Lagen von Staub befaßt zu sein.


Ich bestaune manchmal die vielfältigen Artern der Sedimente, wo ich einige meiner Archivalien sehr lange nicht gebraucht und angefaßt hab. Zugleich kann ich Staub an den Händen nicht leiden. Es scheint mir, als würde er nach einer Weile die Poren des Haut verstopfen. Sowas muß ich dann umgehend beheben.

Der Schmutz des Wissensgewinns sagt mir symbolisch zu, stört mich physisch. Also geht es an solchen Tagen um ein permanentes Wechselspiel zwischen Papier, Staub und Wasser. Das ist ein großes und schönes Thema, zu dem mir noch mehr einfallen sollte: Papier, Staub und Wasser.

Und Wissen. Ich hatte gestern ein ausführliches Gespräch mit Techniker Werner Musil, dessen Biografie eng mit Steyr und mit den Grazer Puchwerken verknüpft ist. Fotograf Richard Mayr und ich beginnen ja, an einer Video-Serie zu arbeiten, die Aspekte unserer steirischen Mobilitäts- und Technologiegeschichte behandeln wird. Darunter viele Details, welche bisher noch nicht dokumentiert wurden.


Dabei haben wir unter anderem über den Stellenwert von Wissen gesprochen. Informationen zu schaufeln hat ja noch nichts mit Wissen zu tun. Datenverarbeitung ist bloß eine der möglichen Funktionen des Wissenserwerbs. Das muß dann gedeutet werden.

Wir kamen alle drei in den 1950er Jahren zur Welt. Damals gab es eine Art soziales Verspechen: Wer sich um Bildung bemüht, wird seine Möglichkeiten verbessern können, ein anderes Leben gewinnen. Das scheint heute in vielen Daseins- und Arbeitsbereichen keine Geltung mehr zu haben.

Mehr noch, ich stelle fest, daß Wissenserwerb vielfach als Form der Verhaltensoriginalität gedeutet wird. Wissenserwerb hat den Geruch des Lächerlichen erhalten. Ich beklage das nicht weiter, sondern konstatiere es bloß. (Kulturpessimismus hielte ich für eine sehr unerfreuliche Befindlichkeit.)


Aus den Kontroversen, die sich daraus ergeben können, wenn Wissen gegen „Gefühltes“ prallt, habe ich meine „Theorie von den zwei Kontinenten“ bezogen. Ich denke dann und sage manchmal: „Same species, another tribe“. Wir gehören der gleichen Art, aber verschiedenen Stämmen an, die sich auf unterschiedlichen Kontinenten eingerichtet haben.

Wenn wir die Kontraste zwischen uns nicht ertragen oder nicht überbrücken können, dann müssen wir einander eben meiden. Ich bleibe staunend, wie angriffslustig mir Leute aus dem „anderen Stamm“ manchmal begegnen. (Zugegeben, meine Contenance erodiert imnzwischen.)

Es wäre vergeudete Kraft, mit solchen Leuten in Konflikte zu gehen. Es ist nicht meine Aufgabe, ihnen etwas beizubringen. Distanz ist ein guter Kompromiß.

+) Mytos Puch


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