Das geistige Leben einer Metropole wie Wien
war zur Gründerzeit sehr wesentlich von
einem unternehmerisch versierten
Besitzbürgertum geprägt. Das hat sich bis
heute alles verlagert. Die symbolischen und
auch sozialen Grenzen zwischen Hochkultur
und Volkskultur sind längst gefallen.
Kunstsinn und Sachkenntnis, wie sie in
der Renaissance dem skrupellosen Fürsten
Cesare Borgia zugeschrieben wurden, gesamt
einem Milieu, dem sich gebildete Sekretäre
wie Niccolò di Bernardo dei Machiavelli
angedient haben, bekamen im erwähnten Fin de
Siecle eine wesentlich breitere Basis
gefunden.
Diese Entwicklung mußte bei
uns dann noch durch Kräftespiele der
Nazi-Schnösel vorankommen, denen es gefiel,
als „entartete Kunst“ zu brandmarken, was
sie nicht verstanden. Aber auch das ist
Geschichte. Fast!
Dank des
gewachsenen Wohlstandes und der freien
Zugänge zu Bildungsmöglichkeiten sind
Kunstsinn und Sachkenntnis heute auch dem
Kleinbürgertum zugänglich und dem, was aus
Kreisen des Industrieproletariats
hervorgegangen ist.
Der ehrgeizige Sekretär Niccolò Machiavelli.
Im Rahmen all solcher Entwicklungen hat
sich spätestens ab dem 17. Jahrhundert
ein Bildungsbürgertum herausgeformt, für
das zwei soziale Posen typisch sind. Das
Kompensieren von
Minderwertigkeitsgefühle gegenüber dem
Besitzbürgertum mittels erklärter
Bildungsideale und die Abgrenzung
gegenüber Subalternen, Habenichtsen, die
man belehren und erziehen möchte.
Dazu fällt mir nun doch glatt der
Schnösel vom Kulm ein. Treffend hat er
erkannt, daß ich als Künstler zu jenen
Habenichtsen gehöre, die eben noch
Subalterne waren. Solchen Milieus hatte
er selbst als Volksschullehrer entkommen
können.
Nun unterstellt er mir
öffentlich und mit Ausdauer vor, was ihn
ausmacht. Paternalistisches verhalten
eines Halbgebildeten. Aktuelles Zitat
des Behelfslyrikers, der gerne reimt,
was ihn bewegt:
„Ach, was war
ich doch naiv- / dachte noch kürzlich,
dass ich tief / gekränkt hätte den Gott
der Kunst, / der zu Gleisdorf um die
Gunst / kulturbefliss’ner Facebooknutzer
/ buhlt und als bösen Kunstbeschmutzer /
jeden beschimpft, der es gewagt, / dass
er was dagegen sagt, / was Seine
Verletzlichkeit / als einzig wahr ins
Netz gestreut!“
Die "regionale Kulturszene"
ist alles andere als halbwegs
homogen.
In einem laufenden Diskurs, zumal
einem Kunstdiskurs, geht es freilich
überhaupt nicht um „Wahrheit“, sondern
um das Erkunden von Denkmöglichkeiten
und Deutungsmodellen, in denen wir über
Bedingungen des symbolischen Denkens
Auskunft erhalten. Das schließt den
Dissens als wichtige Erkenntnisquelle
ein.
Es unterliegt dabei nicht
eine Ansicht der anderen. Es erweitern
sich so die Denkmöglichkeiten. (Das
berührt auch Fragen einer Freiheit der
Kunst.) Hinzu kommt: Es sollte kein
Problem sein, wenn zwei Menschen zu
einer Sache unauflösbaren Dissens haben.
In einer Demokratie ist für alle
Auffassungsunterschiede Platz. In der
Tyrannei nicht. Weshalb hängt mir also
der Schnösel vom Kulm weiter am
Hosenbein und reklamiert sich als reale
Person mit Klarnamen in meine kleine
Serie der Schnösel-Glossen?
+)
Kulturpolitik