18. Jänner 2024

Archipel: Nebensachen


Die heutige Verkehrslage hält mich eher davon ab, am Steuer zu sitzen. Ich weiß noch, wie es geht, aber ich bin längst ziemlich gut als Passagier, höchst begabt im Füßeausstrecken, wenn ein Wagen das zuläßt. Ich lege mich sogar bei Bedarf mit dem Vehikel in die Kurve. Hängt davon ab, wie viel Masse der Wagen insgesamt bewegt.

Auf der Tour ins Mühlviertel war das nicht nötig. Alles sehr gediegen, geradezu massiv. Im Normalbetrieb das Abrollgeräusch der Reifen fast schon lauter als der Motor. Und die heute übliche Inszenierung des Innenraums mit feinen Lichtelementen.


So gesehen ist mein privater Traum von Space Shuttle längst temporäre Realität. Was da an Technik und Bedienungselementen in so einem Fahrgastraum zusammenkommt, ist sogar bei den hinteren Sitzen komplexer als einst das komplette Cockpit eines Ford Escort.

Was rund drei Sundern Fahrt in Anspruch nimmt, untertags ein wenig mehr Zeit, führt zum Beispiel von Gleisdorf ins obere Mühlviertel. Start um 7:30 Uhr. Irgendwo unterwegs eine Dröhnung mit zwei mal doppeltem Espresso. Die Tür des Wagens ist so dick, daß ich frage, ob der gepanzert wurde. Nein, er ist nicht beschußfest.

In den US-Krimis sehe ich oft, wie Cops hinter der geöffneten Autotür in Deckung gehen, wenn der Bösel aus einem automatischen Karabiner das Feuer eröffnet. In so einem Setting stirbt man. (Ich meine mich zu erinnern, daß ich mit einem Sturmgewehr auf 300 Meter Distanz eine fingerdicke Stahlplatte stanzen konnte.)


Das ist die Art unnützes Wissen, mit dem ich bis zu den Ohren vollgestopft bin. Ich werd das in der Praxis hoffentlich nie brauchen. Da ist es schon nützlicher zu wissen, daß die Statur auf der Brücke über die Große Mühl mit aller Sicherheit der Heilige Nepomuk ist, denn er gilt als der prominenteste Wasserheilige und steht gerne auf Brücken herum.

Dort befindet sich Neufelden. Wir haben Joachim Eckl in Sachen „Archipel Gleisdorf“ besucht. Er hat ein vormaliges Lagerhaus samt Silo und Nebengebäuden zu einem Ort der Kunst ausgebaut. In einem Trakt befinden sich Arbeiten von Marcus Kaíser, die ich nun erstmals real gesehen hab. Wenn alles gut geht, wird Kaiser ein Jahr lang in Gleisdorf gastieren, sich mit seiner Arbeit in ein Gebäude schrittweise hineinbauen.


Dann hat nicht mehr bloß Bad Ischl eine Kaiser-Villa, sondern Gleisdorf ebenso. Eckl warnte uns, in einigen Bereichen des Lagerhauses sei es sehr kalt. „Kann doch auch nicht kälter sein als hier heraußen“, meine ich zu einem meiner Reisegefährten. So kam es.

Nach einer Weile entdeckte ich unter einem Flugdach einen quietschgelben Yank Tank, sah mir den Wagen näher an. Ich fragte Eckl: „Chevy Caprice?“ Er nickte. Nicht daß ich so superschlau wäre, aber die Capricen sind erst ab der vierten Generation rundgelutscht, sehen damit nach meinem Geschmack nach Buick aus. Bis 1990 sind sie noch recht markant und kantig gewesen; wie dieser in Neufelden.


Aber was red ich denn? Wir rannten gleich darauf in Beuys und Rinke hinein, in zahllose andere Werke und Dinge, wie mir zum Beispiel ein Grubentelefon oder eine Morsetaste auffiel. Aber auch die Reste eines Holzbootes, auf das man durch ein Glasfenster im Boden des Stockwerks darüber blicken konnte, so als hätte ich eine archäologische Stätte entdeckt.

Ganz zu schweigen von allerhand Uschebtis, unzähligen Büchern und einem Bösendorfer-Flügel in der Kälte. Sie ahnen gewiß, genau so soll mein Leben sein. Diese Art von Aufenthalt in einer grenzenlosen Wunderkammer. Gebaute Fundamente einer ebenso grenzenlosen Gedankenwelt.

+) Archipel (Ein Logbuch)
+) Archipel: Neufelden