1. Jänner 2024

Über Gewaltverzicht

Meine Vernunft beteuert die unleugbare Bedeutung von Pazifismus. Aber ich hab ihn nicht in mir. Ich bin überzeugt, daß uns allen Gewaltverzicht auferlegt sein muß. Ohne diese wesentliche Grundlage menschlicher Gemeinschaft wäre so vieles unmöglich, was ich für unverzichtbar halte.

So also geht Conditio sine qua non. Ohne die Verpflichtung zum Gewaltverzicht wären die Menschenrechte hinfällig, die Demokratie ebenso, was erst den Anfang einer sehr langen Liste notwendiger Qualitäten ausmacht.

Ich meine, der Pazifismus ist eine zentral wichtige Denkweise. Doch wie erwähnt, ich hab ihn nicht in mir. Die Gründe sind banal. Im Dunkel meiner Kindheit liegen einige Dinge, die es nicht geben dürfte. Ich mußte selbst sehr wehrhaft werden, um das abzustellen. Sowas kann man aber als Kind nicht leisten. Dazu vergeht also etliche Zeit. Prägende Zeit.


Mir wurde allerdings ebenso unmißverständlich klar, daß man sein eigenes Leben vergiftet und das Leben anderer beschädigt, falls wenn man in diesem Zustand von Gewaltbereitschaft verbleibt. Ein Dilemma, an dem sich freilich arbeiten läßt.

Ich bin sehr froh, daß mir dieser Kurswechsel möglich war, bin überzeugt, nur so ließ sich der Weg in meine Vaterschaft ebnen und dabei sicherstellen, daß ich von all diesem Dreck nichts weitergebe. Aber es ist immer noch so: Ich hab keinen Pazifismus in mir.

Ich halte ihn für eine sehr wichtige Strategie ohne taktische Qualitäten. Damit meine ich, eine Gesellschaft kann von laufender Brutalisierung nur wegkommen, wenn es Strategien zur Friedfertigkeit gibt, wenn der Gewaltverzicht als hohes Gut gelten darf, wenn wir darüber einen breiten gesellschaftlichen Konsens erreichen.


Aber in der Konfrontation mit einem Aggressor hilft mir diese Strategie nichts. Da muß ich taktisch antworten. Ist das so? Ich kenne diese drei Optionen: a) ausweichen (abhauen), b) den Aggressor abschrecken (sehr bedrohlich wirken) und c) den Aggressor entwaffnen (Gewalt konkret anwenden).

Habe ich bezüglich dieser Eskalationsstufe, der Identifizierung eines Aggressors, etwas übersehen? Ich mag das Prinzip „Wenn es wer besser weiß, machen wir es anders.“

Zum Stand der Dinge
Wie sehr auch woanders geschossen wird, das Grauen um sich greift, wir möchten in Österreich offenbar auf den Krieg der Worte nicht verzichten. Auch das fiele eigentlich unter die Verpflichtung zum Gewaltverzicht, denn ich behaupte: jedem Massaker geht ein Krieg der Worte voran.


Das üben viele schon in ihrem Alltag zu ganz beliebigen Anlässen. Aber offenbar gibt es keinen breiten gesellschaftlichen Konsens, daß Gewalt durch Sprache etwas ist, mit dem man Menschen sehr konkret Schaden zufügen kann. Das Beschimpfen, das Herabwürdigen, die Häme und die Beleidigungen.

Gewalt durch Sprache ist noch nicht gegeben, wenn zwei Leute in einer Verschiedenheitsrelation aneinandergeraten. Sie macht sich erst breit, wenn jemand auf Argumente zur Sache weitgehend verzichtet und statt der Argumente des Gegenübers das Gegenüber selbst angreift. Argumente zur Person sind die Geschosse, von denen immer welche durchschlagen.

Ich erinnere mich an einen Buddhisten, der gesagt hat, in seiner Ausbildung habe er zu bedenken bekommen: „Der erste Pfeil trifft immer“. Man kann es nicht aus der Welt schaffen, daß Menschen sich Gewalttätigkeiten erlauben. Das führt zu Treffern. Aber wir können im besten Fall lernen, daß es bei jenem ersten Treffer bleibt. Das läßt sich üben. Vielleicht stecken im Pazifismus - neben seiner wichtigen strategischen Bedeutung - doch auch taktische Qualitäten und ich kenne sie bloß vorerst nicht.

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