16. Dezember 2023 II

Leben in der Kunst VII

Warum sollten wir in der Provinz um einen Kunstdiskurs auf der Höhe der Zeit bemüht sein? Tun es nicht vor Ort die kulturellen Schrebergärten allemal? Da haben sich Teile des Bildungsbürgertums über Jahrzehnte bemüht, ihr soziales Leben in den Kommunen etwas aufzuwerten; mit diesem Hang zum Schönen und zum Erbaulichen. (Erhabenes?)

Darum! Das alte Denkmodell „Zentrum/Provinz“ hat sich erledigt, auch wenn das noch nicht allen Leuten jenseits des Landeszentrums aufgefallen ist. Es liegt sehr wesentlich an zwei Aspekten. Persönliche (physische) Mobilität und die Neuen Medien.



Bei Streichinstrumenten erkennen selbst Laien eventuelle
Stümperei sofort. Und beim Denken?

Das eine kam über eine Revolution des Personal Transport ab Ende der 1950er Jahre. Das andere lief über die Digitale Revolution in den 1970ern und konnte sich spätestens ab Mitte der 1990er bundesweit entfalten.

Wir sind also gefordert, für die 2000er Jahre neue kulturpolitische Fragestellungen a) zu finden und b) zu bearbeiten. Wie? Na, am besten schrittweise. Ein Beispiel. Autorin Marianne Schaufler begann dieser Tage, einige Fragen zu formulieren und ins Web zu wuchten. Wir haben diese Debatte dringend nötig. Vor allem, weil sich während der letzten 30 Jahren im Kulturbereich ein Spießertum breitgemacht hat, das genau solche Debatten vorzugsweise zu ersticken versucht.



Marianne Schaufler by Marianne Schaufler.

Gute Frage!
Ich zitiere Schaufler: „Eine der Fragen. Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu? Kunst ist in der Lage das persönliche Wohlbefinden zu steigern. Kunst kann Revolution. Sie kann Aufmerksam machen. Sie dient der Inspiration. Sie ist ein Vermittler von Emotionen, Ideen und Perspektiven. Sie muß jetzt zum Zeitgeschehen die richtigen Fragen aufwerfen. Lasst uns gemeinsam unsere Betrachter anregen.“

Meine erste Reaktion lautete: „im sinn der nötigen antwortvielfalt, die kunst ist nur der kunst verpflichtet. die gesellschaft muss selbst klarkommen.“ Dann aber fiel mir – dank Schaufler – auf, wo meine Leute hier in den letzten Jahrzehnten falsch abgebogen sind.

Was die Autorin hier als Frage rausgehauen hat, faßt recht anschaulich zusammen, wie viele Kulturschaffende ihre Kunstpraxis zu legitimieren versuchen. Vor allem dann, wenn sie sich um eine Kofinanzierung künstlerischer Vorhaben durch die öffentliche Hand bemühen, beziehungsweise Präsenz in öffentlichen Räumen beanspruchen.



Krusche ringt mit seinen Dämonen. (Heinz Payer)

Sie wenden sich mit ihren Anstrengungen nicht primär an die Kunst selbst, sondern an eine Seilschaft von Politik und Verwaltung, wahlweise an eine Geschäftswelt, wo da wie dort eine klare kulturpolitische Position meist vermieden wird.

Was kann Kunst?
Wenn man nun eine mögliche Liste der „Wohltaten durch die Kunst“ eindampft und das Ergebnis betrachtet, tendieren solche Konzepte zur Verbesserung der „Volksgesundheit“ und generell der Welt, werden zur Erbauung der Menschen angelegt, genauer: zur Belehrung, zu erzieherischen Schritten. Kunst als Mittel der Sozialarbeit? Daran glaube ich nicht.

Wenn überdies die Kunst all das in einem relevanten Maß leisten könnte, warum ist dann a) Europas Gesellschaft erneut von so radikalen Ansichten geprägt und gesamt (seit den 1980ern) merklich nach rechts gerückt, während b) derzeit Neofaschisten und Putin-Kollaborateure einen auffallenden Boom erleben?



Erbauung muß sein! Oder?

Genau das belegt nach meiner Ansicht die „revolutionäre Bedeutungslosigkeit“ der Kunst. Sie hat schlicht andere Aufgaben. Es ist schon mit Leuten wie Bert Brecht oder Jean-Paul Sartre nicht gelungen, einer Gesellschaft über Mittel der Kunst und über ein reges geistiges Leben die Beachtung der Menschenrechte sehr viel schmackhafter zu machen.

Auch der Stellenwert Kunstschaffender und ihre aktuelle soziale Situation in unserem Land belegen nicht gerade einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, daß Kunstpraxis die oben genannten Qualitäten anbieten würde.


Wechsel des Blickwinkels
Daraus schließe ich, daß wir die Sache von der anderen Seite her denken könnten. Ich brauche dem werten Publikum nicht zu versichern, welche Wohltaten und Werte die Kunstwerke unserer Gesellschaft brächten. Der Kunstbetrieb ist in dem Kontext kein Krämerladen.

Wir sollten alle Kraft auf das Erarbeiten erstklassige Werke verwenden, zuzüglich auf ein adäquates geistiges Klima. Damit könnte die Gravitation unseres Genres zunehmen, könnte weit mehr Prestige bringen als alle Beteuerungen. Vor allem aber Wirkung entfalten; und zwar als Metier und als Milieu, was von den handelnden Menschen kommt. nicht von den Werken selbst.

+) Kulturpolitik (Notizen)