Niklas Luhmann hat in seiner großen Arbeit
über Fragen, was eine Gesellschaft sei und
ausmache, der Kunst ein ganzes Buch
gewidmet. Aus einem kuriosen Motiv.
Er notierte im Vorwort zu „Die Kunst der
Gesellschaft“ seinen Zugang:
„Und daß
überhaupt von Kunst die Rede ist, liegt
nicht an besonderen Neigungen des Verfassers
für diesen Gegenstand, sondern an der
Annahme, daß eine auf Universalität
abzielende Gesellschaftstheorie nicht
ignorieren kann, daß es Kunst gibt.“
Das ist ein wohltuend nüchterner
Ausgangspunkt der Betrachtung. In der Folge
sind die Ansichten darüber, was Kunst sei,
sehr vielfältig, auch widersprüchlich. Es
ist im Blick darauf ähnlich wie mit der
Wissenschaft. Jede Annahme kann nur so lange
gelten, bis eine überzeugendere Annahme
auftaucht.
Das korrespondiert mit
Karl Poppers Überzeugung, wir könnten Thesen
nur
falsifizieren, nicht
verifizieren. Harald Lesch hat es in
jüngerer Zeit so ausgedrückt:
„Wir irren
uns empor.“.
Kunst und Kunstfertigkeit sind zwei
völlig verschiedene Kategorien.
Da die Kunst nicht dafür sorgen muß, daß
zum Beispiel ein voll besetztes Flugzeug
auf Kurs oben bleibt, statt
runterzufallen, können wir in diesem
Genre alle Möglichkeiten bis hinein ins
Absurde erkunden. (Wenn der Geist
zwischendurch einmal abstürzt, sollte
ein neuer Aufstieg kein Problem sein.)
Ich stehe in einem Lager, wo die
Frage nicht
„Was ist Kunst?“
lautet, sondern
„Wann ist Kunst?“
Das liegt in meiner Vorstellung von sehr
dynamischen Verhältnissen. Wesentliche
Denkanstöße dazu verdanke ich der
Kunsttheorie von Boris Groys.
Er
sieht zwei Sphären im Wechselspiel
miteinander, das „kulturelle Gedächtnis“
und den „profanen Raum“. Über die
Aufwertung (Valorisierung) oder
Abwertung (Trivialisierung) von
Werken wie Taten lassen sie sich dann
dieser der jener Sphäre zuordnen. Das
sind Deutungen und die Auffassungen
wurden jeweils nicht in Stein gemeißelt.
Trivialisiertes: Deko-Material
als Kunst-Surrogat.
Was einmal aufgewertet wurde, kann
übrigens auch wieder trivialisiert
werden. Groys hält fest:
„Von keiner
Sache, Form, Sprache oder kulturellen
Gepflogenheit läßt sich also a priori
sagen, ob sie nun zur hohen
valorisierten Kultur gehört oder zum
profanen Raum.“Dazu kommt,
daß es einem völlig frei steht, ob man
Werke gemäß sinnlicher Erfahrung
beurteilt oder nach den gerade aktuellen
Regeln der Kunst. Das führt
unausweichlich zu Situationen, in denen
einem ein Werk vom sinnlichen Eindruck
her völlig mißfallen kann, aber gemäß
dem aktuellen Kunstdiskurs ein
relevantes Kunstwerk ist; oder
umgekehrt. Es kann einem etwas enorm
gefallen, ginge aber in aktueller
Debatte bloß als Dekorationsgegenstand
durch.
Übrigens, weil das immer
noch gerne mißbräuchlich zitiert wird,
Joseph Beuys hat mit dem Hinweis, daß
jeder Mensch ein Künstler sei,
ausdrücklich den Konjunktiv gemeint. Er
erklärte das auch selbst. Jeder Mensch
könne ein Künstler sein, sei es aber
nicht apriori. Möglichkeitsform. Deshalb
kannte und nannte er auch
Ausschließlungsgründe.
+)
Kulturpolitik
(Notizen)