7. Dezember 2023

Leben in der Kunst III

Wenn mir in den letzten 20 Jahren von jemandem eine Kontroverse angeboten wurde, weil meine Glossen zum Kunstdiskurs und meine kulturpolitischen Beiträge Unmut erregt haben, dann waren das hauptsächlich sekundäre und tertiäre Kräfte.

Unter ihnen ein bemerkenswerter Anteil von Leuten, die sich gar nicht erst mit Argumenten zur Sache aufhalten, sondern gleich mit Argumenten zur Person loslegen. Das meint, sie greifen nicht meine Argumente, sondern mich als Person an.

Wir wissen seit der Antike: Wer auf das Argumentum ad Rem verzichtet und gleich ein Argumentum ad Hominem in die Waagschale schmeißt, will nicht debattieren, sucht keinen Erkenntnisgewinn, sondern will sein Gegenüber umhacken.



Künstler Selman Trtovac bei unserem 2013er Kunstsymposion.

Wozu unterscheide ich primäre, sekundäre und tertiäre Kräfte? Primäre Kräfte sind jene, die kulturelle Vorgänge erdenken, den Content erarbeiten, die Werke erschaffen. Dort docken sekundäre Kräfte an. Kulturmanagement, Kulturpolitik, Kunstmarkt etc.

Kunst und Kultur eines Gemeinwesens sind natürlich darauf angewiesen, daß der primäre und der sekundäre Bereich komplementär ineinandergreifen. Als tertiäre Kräfte bezeichne ich das Publikum. Ich meine auch Kunst- und Kulturinteressierte, die für ihre Leidenschaft materielle und immaterielle Mittel einsetzen.

Wir wären also im günstigsten Fall eine Interessensgemeinschaft mit unterschiedlichen Kompetenzen und Aufgaben, könnte darin enorme Synergien schaffen und zum wechselseitigen Nutzen geistreiche Dinge tun. Vor allem, weil nach meiner Überzeugung ausnahmslos jeder Mensch spirituelle und kulturelle Bedürfnisse hat.



Im Gespräch mit Maler Hannes Schwarz.

Wie ist es dann möglich, daß etwa ein Pädagoge, den ich überhaupt nicht kenne, in meine Facebook-Timeline hereingräscht und mich ohne viel Umschweife beschimpft? Dazu kommt dann natürlich auch die Grundübung des Hegemonie-Lehrbuben: Er spricht mir meinen Status als Künstler ab, räumt diesen Aspekt, samt meinen Sachkompetenzen, flott vom Tisch.

Die Erklärung dafür liegt unter anderem in einem Aspekt, den ich in der Einser-Glosse erwähnt hab. Rührige Leute setzen sich gerne auf die Arbeit primärer Kräfte drauf, um einen Prestigegewinn zu lukrieren, der mit ihren ursprünglichen Kompetenzen nicht zu holen wäre.

Um solche Strategien abzusichern, muß man Leuten wie mir natürlich – soweit möglich - ihre Definitionsmacht entreißen. Wo kämen wir hin, wenn ein Künstler sein Metier selbst definieren wollte? Na, und eigentlich ist er ja gar keiner. So geht das!



Das Modell und sein Bildnis: Sigi Tinchon by Herta Tinchon.

Diese Pose steht in einer Tradition des aufstrebenden Bildungsbürgertums seit Maria Theresia, als der Zentralstaat einen großen Hunger nach Arbeitskräften entwickelte, die simple Kulturtechniken beherrschen.

In diesen Kräftespielen wurzelt auch das, was wir als “Volkskunde” noch kennengelernt haben. Dieses Bildungsbürgertum suchte nach Kompensation für seine Minderwertigkeitsgefühle gegenüber dem Besitzbürgertum und dem Adel, bemühte sich dabei um ausreichende soziale Distanz zum “Pöbel”. So begann ein Bevormunden und Erziehen dieses “Pöbels” im Namen von Kultur und Bildung.

Ein so Gebildeter „darf dich also ungestraft,weil zumindest teilweise belegbar, einen eierlosen, aus dem Handwerksmilieu stammenden Rezensenten ,der in zeitgenössischer Kunst dilettiert nennen?“

Na sicher! Darf er. Es hat ja nicht besonders viel Gewicht, daß er es so sehen möchte.

+) Kulturpolitik (Notizen)

Postskriptum
Ich sollte eventuell meine kleine Enzyklopädie herzhafter Bechimpfungen ergänzen: "Punch"