10. November 2023

Robuste Klamotten

Ich bin im Zeremoniellen nicht gut, weil es mir meist zuwider ist. So sehr ich Klarheit hab und verstehe, daß menschliche Gemeinschaft sich ganz wesentlich über Zeichen und Rituale stabil machen läßt, plagt mich allein schon eine Aversion, mir eine fürs Zeremonielle brauchbare Kleidung zu beschaffen.

Vor einigen Jahrzehnten hatte ich die Aufgabe eines Trauzeugen übernommen, als jene Hochzeit an einem heißen Sommertag stattfand. Ich war der einzige Hochzeitsgast in kurzen Hosen, was mir eine entsprechende Nachrede einbrachte.


Das wäre ein Beispiel für die soziale Funktion von Klamotten. Wer trotz großer Sommerhitze die repräsentative Einser-Panier träg und erträgt, womöglich inklusive Sakko und Krawatte, demonstriert damit Selbstdisziplin als eine der Qualitäten, die erwartet wird, wenn man in üblichen Hierarchien nach oben möchte.

Vor allem die Krawatte ist ja Symbol pur. Was auf die Halstücher von Kriegern in der Antike zurückgeht, hat heute keinerlei praktischen Nutzen. Oder denken Sie an das Kulturvölkchen. Wie oft bin ich bei Veranstaltungen Leuten begegnet, deren Outfit uns allen sagen soll: „Ich bin ein Künstler!“ Sie kennen die Requisiten? Lustige Hütchen, vor allem Batik-Kappen, schrille Brillenfassungen, bei Frauen so manch kuriose Textilie, prägnanter Schmuck, solche Sachen.


Alles gut! Ich dagegen hab am liebsten strapazierfähiges Gewand aus der Arbeitswelt, das jeder Situation standhält; vom Erdbeben bis zur Zombie-Apokalypse. (Da bekomme ich ums halbe Geld Klamotten, die doppelt so lange halten wie das repräsentative Zeugs.) Deshalb werde ich von Menschen manchmal für einen Hackler gehalten, für einen Arbeiter, was ich fast als Kompliment empfinde. Mir liegt nichts am Anschein, ich könnte eine „bessergestellte“ Person sein.

Dieser Tage schickte mir mein Sohn ein Foto, das die zwei Hunde und viel Gegend zeigt. Dazu sein Kommentar: „Die letzte Runde als Junggeselle.“ Ein paar Stunden danach haben Gabriel und seine Michaela geheiratet. Es ist November. Da geht niemand in kurzen Hosen.


Ich bin übrigens ein vom Schicksal begünstigter Vater. In den gut dreißig Jahren, die wir uns nun kennen, gab es nie ein Problem, das mich auf Anhieb ratlos gemacht hätte, auch keinen Konflikt, an den ich mich mit Kummer erinnern würde.

Der Bub schert sich um seine Angelegenheiten. Wir plaudern gelegentlich übers Leben. Mehr verlangt mir das nicht ab. Und daß er heute – dank seiner Talente – mehr verdient, als ich je in einem Jahr erwirtschaftet hab, ist auch sehr komfortabel. Es geht mir mit meinen geschenkten Töchtern in manchen Punkten ähnlich. Ihnen bin ich freilich nicht als Vaterfigur verbunden, denn jede von ihnen hat einen leiblichen Vater.

Daß ich diesen jungen Frauen sehr zugetan bin, ist vollkommen selbstgewählt. Das ist eben meine Meute. Sie gleichen einander nicht, haben völlig unterschiedliche Lebenssituationen, treffen ihre Entscheidungen. Es ist mit ihnen wie mit meinem Sohn. Gelegentlich plaudern wir übers Leben, denn ich bin kein Ratgeber, sondern ein Gesprächspartner. Das verlangt auch nach keinen zeremoniellen Klamotten. Arbeitskleidung ist okay.

+) Relationen