Das wäre ein Beispiel für die soziale
Funktion von Klamotten. Wer trotz großer
Sommerhitze die repräsentative Einser-Panier
träg und erträgt, womöglich inklusive Sakko
und Krawatte, demonstriert damit
Selbstdisziplin als eine der Qualitäten, die
erwartet wird, wenn man in üblichen
Hierarchien nach oben möchte.
Vor
allem die Krawatte ist ja Symbol pur. Was
auf die Halstücher von Kriegern in der
Antike zurückgeht, hat heute keinerlei
praktischen Nutzen. Oder denken Sie an das
Kulturvölkchen. Wie oft bin ich bei
Veranstaltungen Leuten begegnet, deren
Outfit uns allen sagen soll:
„Ich bin ein
Künstler!“ Sie kennen die Requisiten?
Lustige Hütchen, vor allem Batik-Kappen,
schrille Brillenfassungen, bei Frauen so
manch kuriose Textilie, prägnanter Schmuck,
solche Sachen.
Alles gut! Ich dagegen hab am liebsten
strapazierfähiges Gewand aus der
Arbeitswelt, das jeder Situation
standhält; vom Erdbeben bis zur
Zombie-Apokalypse. (Da bekomme ich ums
halbe Geld Klamotten, die doppelt so
lange halten wie das repräsentative
Zeugs.) Deshalb werde ich von Menschen
manchmal für einen Hackler gehalten, für
einen Arbeiter, was ich fast als
Kompliment empfinde. Mir liegt nichts am
Anschein, ich könnte eine
„bessergestellte“ Person sein.
Dieser Tage schickte mir mein Sohn ein
Foto, das die zwei Hunde und viel Gegend
zeigt. Dazu sein Kommentar:
„Die letzte
Runde als Junggeselle.“ Ein paar Stunden
danach haben Gabriel und seine Michaela
geheiratet. Es ist November. Da geht
niemand in kurzen Hosen.
Ich bin übrigens ein vom Schicksal
begünstigter Vater. In den gut dreißig
Jahren, die wir uns nun kennen, gab es nie
ein Problem, das mich auf Anhieb ratlos
gemacht hätte, auch keinen Konflikt, an den
ich mich mit Kummer erinnern würde.
Der Bub schert sich um seine
Angelegenheiten. Wir plaudern gelegentlich
übers Leben. Mehr verlangt mir das nicht ab.
Und daß er heute – dank seiner Talente –
mehr verdient, als ich je in einem Jahr
erwirtschaftet hab, ist auch sehr
komfortabel. Es geht mir mit meinen
geschenkten Töchtern in manchen Punkten
ähnlich. Ihnen bin ich freilich nicht als
Vaterfigur verbunden, denn jede von ihnen
hat einen leiblichen Vater.
Daß ich
diesen jungen Frauen sehr zugetan bin, ist
vollkommen selbstgewählt. Das ist eben meine
Meute. Sie gleichen einander nicht, haben
völlig unterschiedliche Lebenssituationen,
treffen ihre Entscheidungen. Es ist mit
ihnen wie mit meinem Sohn. Gelegentlich
plaudern wir übers Leben, denn ich bin kein
Ratgeber, sondern ein Gesprächspartner. Das
verlangt auch nach keinen zeremoniellen
Klamotten. Arbeitskleidung ist okay.