22. Oktober 2023

Kunst, Kultur und Politik II

Ah ja, diese originelle Frage, weshalb ich Kunstschaffende von Verpflichtungen entbinde. Tu ich das? Wo haben Sie das gelesen? Bei mir sicher nicht! Das Gegenteil ist der Fall. Ich finde es interessant und auch unverzichtbar, über wechselseitige Verpflichtungen und über Leistungsaustausch zu reden.

Mein Verhältnis zur Kunst ist eine, nämlich ganz meine Sache. Mein Verhältnis zu Mitmenschen ist ein völlig anderes Kapitel. Wer sich aus dem Künstlerdasein eine Art sozialen Sonderstatus genehmigt, ist mir bisher noch jedes mal gute Gründe schuldig geblieben.



Menschen ohne Selbstironie langweilen mich. (Grafik: Jörg Vogeltanz)

Kleiner Einschub: Wirtschaftliches Prekariat ist kein akzeptabler Grund dafür, sondern bloß ein Hinweis darauf, daß wir als EPU ebenso riskante Bedingungen haben wie alle Ein-Personen-Unternehmen. Wenn man es auf dem Markt nicht schafft, geht man unter.

Wäre allenfalls noch zu verhandeln, welche guten Gründe es gibt, daß eine Gesellschaft nicht bloß soziale Arbeit, sondern auch kulturelle Arbeit gut bezahlt. Aber die IG Kultur Steiermark und ihre Verbündeten halten mich nun schon Jahre hin, mir ein Verhandlungskonzept dafür offenzulegen. „Fair pay“ wird als Thema immer wieder promotet, ich sehe aber keine aktuellen Argumente, kein politisch relevantes Konzept.



Mit meinem Kunstbegriff stehe ich im Lager von Groys.

Wie erwähnt, wechselseitige Verpflichtungen und Leistungsaustausch, davon ist die Kunst selbst frei, Künstlerinnen und Künstler sind es aber nicht. Klartext: die Freiheit der Kunst ist kein Synonym für „Freiheit der Künstler“. Ich hab in meiner gestrigen Notiz bloß das moralisches Outsourcing zurückgewiesen, wie es sich manche Spießer zu Lasten meiner Profession gönnen möchten.

Als Künstler übernehme ich von anderen Milieus keine derer Pflichten. Ich hab meine eigenen. Wer Erhabenheit bevorzugt, wird sich aus eigener Kraft darum bemühen müssen. Die Kunst ist keine moralische Lehranstalt, keine soziale Reparaturwerkstatt.

In der Kunstpraxis geht es sehr wesentlich um ästhetische Erfahrungen und um Erkenntnisgewinn. Es geht um das Erforschen von Tätigkeitsformen und Aspekten unseres Daseins, die nicht zweckrationalen Zielen unterworfen sind, nicht der Alltagsbewältigung dienen. Apropos! Ich meine, Kunstpraxis dient vor allem auch dem Erkunden der Conditio humana.



Professionalität hat etwas mit Arbeitszeit zu tun.

Dabei klären wir stets neu, wer und was wir als Menschen sein möchten. Das scheint mir auch sehr wichtig und relevant, da uns seit geraumer Zeit Maschinensysteme umgeben, die vieles können, was bisher nur Menschen konnten; und manches davon besser als Menschen.

Als Künstler bin ich in sozialer Hinsicht mit den üblichen Konventionen befaßt, wie sie auch alle anderen Bürgerinnen und Bürger eines Gemeinwesens - Mitmenschen, Mitbürgerinnen - kennen. Wer sich dabei selbst zu einem „Sonderfall“ erklärt, zur Individualistin, zum Exponenten der Abteilung „Ich bin ein wenig verrückt“ oder „Ich bin anders als die meisten“, hat vermutlich den Ausgang aus der Pubertät noch nicht gefunden.



Wer an der Kenntnis der eigenen Kultur spart, engt sich ein.

Manche von uns gehen ganz spartenunabhängig gelegentlich über Grenzen. Grenzüberschreitung ist selbstverständlich auch ein kulturelles Gut. Wie oben angedeutet, ich bestehe als Künstler auf der Freiheit zu denken, zu sagen, zu tun, was ich für relevant halte.

Aber ich werde allfällige Konsequenzen tragen müssen. Ich hab kein Problem mit jenen, die sich in unserem Metier lieber als Heilige oder Priester hervortun. Sie interessieren mich bloß nicht und ich halte sie für kulturpolitisch irrelevant.

+) Kulturpolitik (Übersicht)

Postskriptum
Die Postkarte mit der Grafik von Jörg Vogeltanz findet sich neben anderen aus den projekten von Kultur.at und Konst Ost im NID-Booklet Kontext Kunst #3.