30. September 2023

Schnösel


Im Jahr 1987 erschien Josef Haslingers sehr anregender Essay “Politik der Gefühle”. Als hätte die Zeit stillgestanden, eröffnet nun die ÖVP ihren Wahlkampf mit dem Slogan “Glaub an Österreich.”

Ich aber will nicht glauben, sondern von Fakten und Leistungen überzeugt werden. Es ist durchaus schlüssig, daß es derzeit profane Glaubensbekenntnisse hagelt, denn von etlichen Teilen des politischen Personals Österreichs wurde in den letzten Jahren (quer durch die Fraktionen) erheblich gestümpert.



Quelle: "Kaspar Hauser" von Werner Herzog

Als mir Österreichs christlichsozialer Bundeskanzler jüngst via Kampagnen-Website sein Mission Statement angedient hat, bin ich nicht aus Ergriffenheit, sondern aus Fassungslosigkeit fast auf die Knie gegangen. Das Libretto für eine Operette?

Zitat: “Wir glauben daran, dass wir gemeinsam jede Herausforderung meistern können. Wir glauben daran, dass Österreichs Innovationsgeist Antworten auf Zukunftsfragen geben kann. Und wir glauben daran, dass Österreichs Schaffenskraft Europa und die Welt vorantreiben kann. Wir glauben an Österreich.” [Link]

Soso! Europa und die Welt. (Was hatte dr Mann zum Frühstück?) Ein derart schwülstiges Gestammel ließe sich allein schon beim Status quo der Stadt, in der ich lebe, stark relativieren. In der Kleinregion Gleisdorf werden Einwände einfach weggelächelt. Kritische Diskurse kenne ich hier nicht, bloß das eine oder andere Geplänkel via Social Media.

Ich habe mich in dieser politischen Bundesliga demnach nicht getäuscht. Als sich Herr Nehammer in der Ära Sebastian Kurz im Wahlkampf hervortat, fand ich seine Angriffslust abschreckend, seine Dobermann-Manieren indiskutabel. (Einstiger Kartellverbands-Couleurnamen: „Mars“.) Ich dachte damals: das ist kein Staatsmann.



Quelle: ORF, Zeit im Bild

Und heute ist er Bundeskanzler. Was sagt mir das? Ich schweige aus Höflichkeit. Dann lese ich so Sachen wie das Testimonial von Susanne V.: “Ich glaube an Österreich, weil man in unserem Land durch Fleiß und Ehrgeiz alles im Leben erreichen kann.“

Was für ein substanzloses Geschwätz! Aber es muß mich kaum scheren, denn als alter weißer Mann bin ich von vielem nicht betroffen, was zahllose Frauenleben hierzulande mit Einschränkungen, die längst abgeschafft sein müßten, umgibt.

Nehammer, Frauen, Teilzeitarbeit und das Geld. Ist der Mann ein Zyniker? Dazu müßte er so hart drauf sein wie Herbert Kickl. Das ist er nicht. Aber die erregte Bedenkenlosigkeit, mit der er sein Klientel beglückt, reicht mir auch.

Gut, ich verstehe durchaus, Propaganda ist anderen Aufgaben gewidmet als ein kritischer Diskurs. Ich mag hier gar nicht erst auf jenes Nehammer-Video eingehen, das derzeit kursiert, in dem er mir als ein eifernder Aufsteiger entgegenkommt, dessen Impulskontrolle hakt.

Wenn sich dreißigjährige Buberln so benehmen und äußern, nachdem sie grade wirtschaftlich reüssiert haben und davon berauscht sind, daß sie nun vermutlich einen sozialen Kategoriensprung schaffen, denke ich mir: „Blede Buam!“

Ich wende mich ab und hoffe auf die regulierenden Kräfte einer Erwachsenenwelt. Aber dieser Mann ist unser Kanzler und haut Sachen raus, welche zu zitieren ich als Zumutung empfände.